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Arbeit mal anders bei den San: Gemeinschaft ohne Vergleich

Autor: Nicole Thurn
Datum: 15.01.2021
Lesezeit: 
3 Minuten

Sie kennen weder Zukunft noch Vergangenheit, weder Wettbewerb noch Erfolg: Ein Stamm der San in der Kalahari-Wüste hat diametrale Werte zu unserer westlichen Leistungsgesellschaft. Anthropologin Bettina Ludwig hat mit den Jägern und Sammlern gelebt – und erstaunliche Erkenntnisse gewonnen.

Tsui* hat heimlich Tabak, den die Fremden als Geschenk mitbrachten, abgezwackt, ganz für sich allein. Er flog auf und jetzt stellt sich die Frage: was soll mit ihm geschehen? Tsui lebt in der Kalahari-Wüste Namibias und ist Mitglied einer etwa 60-Kopf-großen Untergruppe** der San, eine Jäger- und Sammler Gesellschaft, die bereits seit mehr als 20.000 Jahren in der wasserarmen Kalahari lebt. Über Tsui wird am Nachmittag entschieden, und das geht bei den San so: im Kreis sitzend rufen alle Beteiligten so lange durcheinander ihre Meinung hinaus, bis sich irgendwann das Stimmengewirr beruhigt und sich nach und nach eine kollektive Meinung herausgebildet hat. Das Ergebnis: Tsui erhält als Denkzettel eine Runde Gelächter von allen – eine schlimme Bestrafung bei den San.

Bettina Ludwig erzählt diese Geschichte, während wir im Meetingraum eines gemütlichen Coworking Spaces in Wien sitzen. Draußen ist der Advent grauverhangen und die zweite Lockdownphase des Jahres 2020 ist gerade an uns vorübergegangen. Wenn Bettina erzählt, blitzen ihre Augen auf und ich ahne: das, was die Kultur- und Sozialanthropologin und freie Wissenschaftlerin in der Kalahari-Wüste erlebt hat, ist genau ihr Ding. Aber auch davon zu erzählen ist es wohl. Die 31-Jährige tritt inzwischen vor Führungskräften und auf HR-Konferenzen auf und berichtet über die Lebensweise und Organisationsform der San, über diese kleine Gesellschaft mit so ganz anderen Werten, Denkweisen und Ritualen, als wir in unserer westlichen Welt es uns je vorstellen könnten. Zwei Mal war sie für ein Forschungsprojekt für jeweils eineinhalb Monate bei dem Jäger- und Sammlervolk. Die San leben im Freien, lieben im Freien, Privatsphäre gibt es nur etwas abseits von ihrem Dorfplatz ohne Dorf, nämlich im Wald. Nur brusthohe Verbauten bieten Unterschlupf, hier wird lediglich Nahrung gelagert.

Die San kennen keinen Besitz, daher haben sie auch keinen Wettbewerb und kein Erfolgsstreben: sie machen einfach alles gemeinsam und tun, was zu tun ist. Und das in der Gegenwart, im jetzigen Moment, denn für die San hat weder Vergangenheit und Zukunft eine große Relevanz. Je weiter Bettina in ihrer Erzählung fortfährt, desto faszinierter und ungläubiger werde ich. Worüber sie sich denn so unterhalten? „Über das, was wohl jetzt gerade ansteht“, sagt Bettina.

Hartnäckiger Ruf

Bettina lebt ihre Berufung und lässt sich davon auch nicht abbringen. Im ersten Corona-Lockdown im Frühjahr 2020 stampfte sie das Zukunfts.Symposium im oberösterreichischen Eferding mit renommierten Speakern aus dem Boden. Auch als Studentin hatte sie rasch ein Ziel vor Augen – eines, das unerreichbar schien: „Ich hatte auf der Uni von Jägern und Sammlern gehört und wusste: ich will mir das selber anschauen.“ Sie schrieb unzählige Mails an Wissenschaftler, die sich mit Jägern und Sammlern beschäftigten – „an die Forschungscommunity von Wien bis zur Harvard University“, sie bot an, Equipment zu schleppen und stundenlange Interviews zu transkribieren, um auf so einer Forschungsreise dabei sein zu dürfen.

Bis ihr Wunsch langsam ins Rollen kam, dauerte das eineinhalb Jahre, weil es keine offenen Stellen gab. „Ich habe trotzdem weitergemacht, weil ich es wollte“, sagt sie. Über Ecken und Zufälle landete sie in einer archäologischen Konferenz zum Spurenlesen, wo sie den Spurenleseforscher Louis Liebenberg, Associate der Harvard University, kennenlernte, der einen digitalen CyberTracker mit den San entwickelt hatte und für dessen Projekt sie 2017 und 2018 als seine Persönliche Assistentin im Einsatz war. 

Im Zuge des Projekts lernte Bettina Ludwig nicht nur, die Spuren aller möglichen Wildtiere zu lesen und zu tracken, sondern auch die für westliche Gemüter außergewöhnliche Kultur der San kennen. Seitdem hat sie eine weitere Mission dazugewonnen: „ich stelle Weltbilder auf den Kopf“, schreibt Bettina in ihrem LinkedIn-Profil.

Was genau sie auf ihren Forschungsreisen erlebt hat und welche sehr spannenden Erkenntnisse sie für unsere Arbeitsgesellschaft und unsere Wirtschaft daraus ableitet, erzählt Bettina Ludwig im Podcast-Interview von „Arbeit mal anders“.

* eigentlich /Ui (/ ist ein vorangestellter Klicklaut, gesprochen: Tsui)

** Ju/´hoan San (gesprochen: Schutwan San, mit Klicklaut)

Mittlerweile hat Bettina Ludwig ihr Buch "Unserer Zukunft auf der Spur" veröffentlicht: www.bettinaludwig.at/buch

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Beitrag von Nicole Thurn

ist Herausgeberin von Newworkstories.com, New-Work-Enthusiastin und langjährige Journalistin mit einem kritischen Blick auf die neue Arbeitswelt.

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