Die (Un-)Conference Freiräume machte in der steirischen Landeshauptstadt Graz Platz für Neues: mit Theater, inspirierenden Keynotes und zukunftsweisenden Pionieren der neuen Arbeitswelt.
Wer Neues will, darf Altes loslassen. Ausmisten, weglassen, Freiräume schaffen - dieses Motto stand bei den diesjährigen "Freiräumen" im Juni auf dem Programm. Die (Un)Conference fand bereits zum achten Mal in der Seifenfabrik in Graz statt und zog zahlreiche Pioniere der neuen Arbeits- und Bildungswelt an. Die beiden New Work & Agile Expert*innen Manuela Grundner und Gregor Karlinger haben auch diesmal wieder ein inspirierendes Event mit vielen Helfer*innen auf diw Beine gestellt - mit viel Raum für Austausch und Partizipation durch das Open Space Format, in dem die Teilnehmenden zu Teilgebenden werden und Sessions gestalten konnten. Dazu gab es den bewährten Austausch auf Pionierstationen, auf denen Pioniere der neuen Arbeits- und Bildungswelt Einblicke in ihre Transformationsprozesse in Richtung Selbstorganisation und den damit verbundenen Hürden und Learnings gaben. Neben New Work Unternehmen waren auch Schulen und Bildungsorganisationen dabei, in denen offenes, freies und selbstbestimmtes Lernen im Vordergrund steht und klassische Regeln des Unterrichts (Schulglocke, Altersstufen) weggelassen werden.
In der Eröffnungs-Keynote lieferten Anna Maria Schaupp und Stefanie Fieber-Grandits von der Beratung Framechangers ihre „Thesen zum inneren Ausmisten“. Anna betonte die Bedeutung des Ausmistens als kreative und erholsame und notwendige Praxis, um kreativ zu sein: „Wir können nicht schöpferisch sein, wenn wir erschöpft sind.“ Und sie betonte, wie hilfreich es sei, in Resonanz mit sich selbst und der Natur zu gehen, um klare Entscheidungen treffen zu können. Führungskräfte seien hier gefragt, Settings zu schaffen, um Resonanz und Selbstwirkamskeit in den Teams zu fördern.
Stefanie stellte die „Qualität der Zeit“ in den Mittelpunkt und plädierte für mehr „Zeitwohlstand“ in unserem hektischen Alltag. Sie kritisierte die Beschleunigung in allen Lebensbereichen und forderte eine Entlastung des Individuums durch bessere organisatorische Strukturen statt bloßem Zeitmanagement. „Wir koppeln Beschäftigung an den Selbstwert, aber eigentlich erzeugt Wirksamkeit Selbstwert,“ so Stefanie. Also, aufhören mit der Beschäftigungstherapie und Fokus auf das, was wirklich wirkt. Auch radikale Offenheit sei wichtig, um Beziehungsbaustellen in den Unternehmen zu schließen, denn: einen Tag pro Woche würden die Führungskräfte im Schnitt mit Konfliktmanagement verbringen.
Die beiden Referentinnen unterstrichen die Notwendigkeit, sich auf die Absicht eines Meetings zu konzentrieren und sinnlose Zusammenkünfte auszumisten. Ihre These, dass „neue kreative Lösungen in stillen Zwischenräumen entstehen und nicht in gefüllten Meetingräumen“, regte vermutlich alle Anwesenden zum Nachdenken an.
Xitaso: Freiräume durch OKR
Das Unternehmen Xitaso stellte seine Arbeitsweise mit Hilfe von OKR (Objectives and Key Results) vor, die dabei helfen, die Unternehmensstrategie in Projekte (Communities) zu strukturieren. In Communities werden Projekte festgelegt. Agile Coaches unterstützen die Teams dabei, sich auf die richtigen Projektziele zu konzentrieren und kreative Lösungen zu finden. OKR-Zyklen von drei bis sechs Monaten strukturieren dabei die strategische Ausrichtung und die operativen Ziele des Unternehmens. Die klare Definition von Objectives - also qualitativen Zielen - und Key Results - also quantitativen, messbaren Ergebnissen - trägt dazu bei, dass Teams ihre Fortschritte regelmäßig überprüfen und anpassen können.
Compax: Selbstorganisation mit hybriden Rollen
Compax präsentierte ein selbstorganisiertes Arbeitsmodell, das stark an das Spotify-Modell angelehnt ist. Das Unternehmen hat eine hybride Rollenverteilung und setzt auf selbstorganisierte Teams, die eigenständig Entscheidungen treffen. In den letzten zwei Jahren wurden 400 neue Mitarbeiter eingestellt, die durch ein einfaches und ehrliches Bewerbungsverfahren ausgewählt wurden. Compax setzt auf interne Mitarbeiter-Empfehlungen und belohnt diese mit Prämien.
Workshop: Anatomie des Bullshits von Bernhard Reingruber
Bernhard Reingruber, Experte für Honest Leadership, leitete einen Workshop über die „Anatomie des Bullshits“. Er erklärte, wie man Bullshit auf Verhaltensebene und im Denken erkennen und vermeiden kann. Laut Bernhard entstehen Bullshit-Verhaltensweisen oft aus Scham, Angst und Stolz, die in der Kindheit verwurzelt sind. Er betonte, dass Bullshit in Organisationen gefährlicher sei als Lügen, da die "Bullshitter" es mit der Wahrheit nicht so ernst nähmen.
Feld:schafft eGen: Nachhaltig und gemeinsam
Feld:schafft eGen, ursprünglich ein Hobbyverein, hat sich zu einer sinnorientierten Genossenschaft mit gesellschaftlichem Mehrwert entwickelt: Die Genossenschafts-Mitglieder beziehen Gemüse von Bauern, verarbeiten sie zu Produkten im Glas und bieten Bildungsprogramme an, die Kindern und Erwachsenen die Problematik des Lebensmittelabfalls und alternative Einkaufsmöglichkeiten näherbringen. Mit ihrem Weltacker-Projekt veranschaulichen sie die proportionale Verteilung der globalen Landwirtschaft und bieten für Schulen und Erwachsene Exkursionen an, die das Bewusstsein für nachhaltige Landwirtschaft und Abfallreduktion stärken. Die Genossenschaft erarbeitet derzeit ein neues partizipatives Gehaltssystem: die Mitglieder schreiben den Wert ihrer Arbeit auf und benennen auch den Wert der Arbeit ihrer Kolleg*innen. Das Basishonorar wird so in Abstimmung für alle fair aufgeteilt und es wird nach Engagement und Expertise bezahlt.
eMagnetix: 30 Stunden sind genug
Klaus Hochreiter, Gründer der Online-Marketing-Agentur eMagnetix bei Linz, eröffnete den zweiten Tag mit einer inspirierenden Keynote über die Einführung einer 30-Stunden-Woche in seiner Agentur. Nach zweijähriger Planung und schrittweiser Umsetzung stellte sich heraus, dass die Produktivität um 34 % gestiegen ist, während der Arbeitsaufwand für 63 % der Mitarbeiter gesunken und für 33 % gleich geblieben ist. Hochreiter betonte, dass diese Umstellung zu einer Verzehnfachung der Bewerberquote und einer Vervierfachung des Umsatzes geführt hat. „Mehr Bewerber, gestiegene Qualität, schnellere Reaktionszeit – viele interessieren sich für unser Modell und wollen von unseren Erfahrungen profitieren,“ so Hochreiter. Er hat die gemeinsame Geschäftsführung mit Thomas Fleischanderl an zwei Mitarbeitende - Florian Gärntner und Stefan Mitmansgruber - abgegeben.
IT-Design: Wertebasiertes Arbeiten
Die im Jahr 2000 gegründete Software-Schmiede IT-Design präsentierte auf seiner Pionierstation ein redesigntes Werte- und Prozesssystem, das auf Partnerschaftlichkeit, Verlässlichkeit und Offenheit basiert. Die 67 Mitarbeitenden sind in sogenannten LANs (Local Area Networks) organisiert, die jeweils über Sprecher, Personaler, Delivery (Anm.: achtet auf die Auslastung) - und Inhaltsverantwortliche verfügen. Entscheidungen werden im Team getroffen und anschließend im erweiterten Geschäftsführungskreis, dem K-LAN, finalisiert. Ein besonderes Highlight ist das Gewinnbeteiligungsmodell, bei dem die Eigentümer und Mitarbeiternden gemeinsam über die Verwendung der Gewinne entscheiden. 20 der bestehenden Mitarbeitenden sind auch Eigentümer des Unternehmens, weitere sieben Eigentümer sind nicht mehr in der Firma tätig.
Open Space: Spannungsbasiertes Arbeiten
Alexander Tihmes von Straight Solutions führte einen Open Space-Workshop zum Thema „Spannungsbasiertes Arbeiten“ durch. Er erläuterte die Einführung von Holacracy und wie Spannungen im Unternehmen erkannt und bearbeitet werden können. Tihmes betonte die Bedeutung von informellem Austausch und Teamcharta, um die Zusammenarbeit zu fördern - und wie wichtig es sei, auf die Stimmung in den Teams zu achten:. „Mitarbeiter sind wie Sensoren im Unternehmen, die aufleuchten, wenn etwas nicht stimmt." Durch regelmäßige Team-Spaces, also bewusste Räume, um Spannungen anzusprechen und auszudiskutieren und gewaltfreie Kommunikation könnten Konflikte konstruktiv bearbeitet werden.
Highlight: Performance-Theater
Besonders spannend war die Theatertruppe rund um Michael Wrentschur. Die Schauspieler*innen performten in Stand- und Handlungsbildern verschiedene Stationen von Transformation im Unternehmen und die emotionalen Reaktionen.
Transfer-Café
Zum Abschluss der (Un)Conference trafen sich die Teilnehmer im Transfer-Café, um ihre Eindrücke und Erfahrungen auszutauschen. An verschiedenen Tischen diskutierten sie über die Highlights der Veranstaltung, teilten persönliche Learnings und reflektierten über die Umsetzung der neuen Ideen in ihren eigenen Arbeitsumfeldern.
Das Beste an der (Un-)Conference: der Austausch mit Gleichgesinnten beim Lunch und Kaffee unter den Bäumen, die geballte Ladung an Veränderungslust und Inspiration und die Vielfalt an neuen Wegen in der Arbeitsorganisation.
Manuela Grundner und Gregor Karlinger haben mit ihrem einzigartigen Event einmal mehr bewiesen, dass die Zukunft der Arbeit erst durch Freiräume möglich wird - in den Unternehmen und in den Köpfen der Menschen.