Stefanie Bräuer-Veigel bringt Vertrauen in Unternehmen (©Begin with Trust)

Ist das Vertrauen dahin, sind auch die Mitarbeiter*innen weg

Kategorie:
Autor: Nicole Thurn
Lesezeit: 
5 Minuten

Female Experts. Mit dem Vertrauen (ver-)schwinden auch die Mitarbeiter*innen. Warum Vertrauen das Fundament für produktive Unternehmen ist und wie wir es wieder gewinnen, wo es verloren schien, erklärt Trust-Expertin Stefanie Bräuer-Veigel.

Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser: Ohne Vertrauen gibt es keine Veränderung: Stefanie Bräuer-Veigel, Co-Gründerin der Organisationsberatung „Begin with Trust“ ist Expertin für Vertrauenskultur. Sie erzählt im Interview, wie Unternehmen eine authentische Vertrauenskultur schaffen können und welche Rolle psychologische Sicherheit dabei spielt.

New Work Stories: Stefanie, auf das alte Sprichwort "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser" treffen wir oft in Unternehmenskontexten. Wie stehst du dazu?

Stefanie Bräuer-Veigel: Für mich hängt Kontrolle stark davon ab, wem sie letztlich nützt. Geht es um die Führungskraft allein oder unterstützt sie das gesamte Team? Kontrolle kann in bestimmten Situationen hilfreich sein, zum Beispiel wenn ein neuer Mitarbeiter noch Orientierung benötigt. Allerdings finde ich, dass Vertrauen das Fundament sein sollte, auf dem diese Orientierung aufbaut. Nur Kontrolle zu praktizieren, ohne Vertrauen und ohne psychologische Sicherheit, führt zu Misstrauen und Unzufriedenheit.

Das klingt, als ob Kontrolle in deinen Augen eher eine unterstützende Rolle spielt. Ist das richtig?

Genau. Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter klare Aufgaben und Ziele haben und gleichzeitig psychologische Sicherheit spüren, dann trauen sie sich, Fragen zu stellen oder Probleme offen anzusprechen. Das verbessert nicht nur die Zusammenarbeit, sondern fördert auch die Innovationsfähigkeit und das Engagement im Team. Ein rein kontrollierender Führungsstil hingegen verhindert diese Offenheit und hemmt die Entwicklung eines leistungsstarken Teams.

New Work Stories: Was genau verstehst du unter psychologischer Sicherheit?

Stefanie: Psychologische Sicherheit bedeutet, dass sich Teammitglieder sicher fühlen und sich trauen, offen über ihre Ideen, Meinungen, Unklarheiten, aber auch über gemachte Fehler zu sprechen, ohne Angst vor negativen Konsequenzen zu haben. Amy Edmondson, Autorin des Buchs „Die angstfreie Organisation“, hat Teams in einem Krankenhaus untersucht und kam zu dem Ergebnis: das Team, das mehr Fehler gemacht hat, war gleichzeitig erfolgreicher – weil es die Fehler offen kommuniziert und daraus gelernt hat. Der "Good Fight Club" – also der offene Austausch von Meinungsverschiedenheiten – ist ein wichtiger Bestandteil davon. Nur in einem solchen Umfeld können Teams ihre volle Leistungsfähigkeit entfalten.

Vertrauen ist ein häufig genanntes Schlagwort, wenn es um New Work geht. Was heißt denn überhaupt Vertrauenskultur?

Aus unserer Sicht ist dafür die Art und Weise, wie eine Führungskraft Vertrauen vorlebt entscheidend. Es gibt drei Komponenten. Es ist einmal der Bereich der Logik. Schaffst du es, mit deiner Kompetenz Entscheidungen zu treffen, die du auch dementsprechend gut argumentierst und kommunizierst? Sind diese Entscheidungen klar, verständlich und nachvollziehbar? Und dann kommt zweitens der Faktor Authentizität hinzu: Stehst du als Führungskraft zu dem, was du sagst? Also folgen diesen Worten auch tatsächlich Taten? Und bist du echt dabei? Oder spielst du einfach nur eine Rolle? Drittens: Empathie. Das heißt, dass wirklich der Mitarbeiter, die Mitarbeiterin als Mensch im Zentrum steht. Und zu mir hat vor kurzem ein Hotelier gesagt, bis vor kurzem war es noch so, dass wir einen großen Leitspruch hatten, der Kunde ist König.  Wir wissen aber, das funktioniert nicht mehr. Der Mitarbeiter ist König. Wenn wir den Mitarbeiter ins Zentrum rücken, wenn wir wirklich wollen, dass es ihnen auch gut geht, wenn sie arbeiten und dass sie gerne arbeiten. Und das kommt jetzt langsam in den Chefetagen an. Vor allen Dingen auch in Branchen, die mit Mitarbeitermangel zu tun haben oder auch große Fluktuationen haben.

Wenn eine der 3 Komponenten: Logik, Authentizität und Empathie nicht kongruent ist, spüren Mitarbeiter das meist schnell. Sie sind verunsichert, ihr Vertrauen schwindet, im schlimmsten Fall entsteht eine Misstrauenskultur, die zu Quiet Quittung, der inneren Kündigung, und schließlich zu Kündigungen führt.Wenn die Arbeit keinen Spaß mehr macht, weil du permanent Ellbogen spürst und wenn kein Vertrauen da ist, dann glaubst du auch bald nicht mehr an die Sache. Du nimmst deinen Vorgesetzten nicht mehr ab, wenn sie Versprechungen machen. Du fühlst dich nicht wertgeschätzt. Eine Vertrauenskultur hat einen messbaren Einfluss auf die Produktivität und das Wohlbefinden der Mitarbeitenden.

Magst du das näher erläutern? Wie lässt sich Vertrauen bzw. Misstrauen in Zahlen gießen?

Natürlich. Untersuchungen zeigen, dass Unternehmen mit einer starken Vertrauenskultur weniger Krankheitstage, eine höhere Mitarbeiterbindung und damit niedrigere Fluktuation haben. Die Organisationsberatung Deloitte hat ermittelt, dass Unternehmen 20 bis 56 Prozent ihrer Produktivität einbüßen, wenn sie das Vertrauen ihrer Stakeholder verlieren. In einer Vertrauenskultur steht der Mensch im Mittelpunkt, während in einer Misstrauenskultur oft nur Zahlen und Ergebnisse zählen. Und: Vertrauenskultur klingt zwar „soft“, spart aber knallhart Personalkosten ein.

In einem Unternehmen mit einer toxischen Führungskultur kann es zu erheblichen Performanceverlusten kommen. Angenommen, ein mittelständisches Unternehmen, sagen wir eine Tischlerei mit 30 Mitarbeitenden, hat aufgrund fehlender Vertrauenskultur fünf Mitarbeitende, die bereits innerlich gekündigt haben. Das führt schnell zu einem Produktivitätsverlust von 20 Prozent. Solche Verluste zeigen deutlich, wie wichtig eine gesunde Vertrauenskultur ist.

Mit welchen Themen und Herausforderungen kommen denn die Führungskräfte und Unternehmen zu dir, und was hat das Ganze mit der Vertrauenskultur zu tun?

Interessanterweise sagt niemand direkt: „Ich habe ein Vertrauensdefizit.“ Stattdessen kommen die Unternehmen zu uns mit Problemen wie hoher Fluktuation, Konflikten im Team oder sinkendem Engagement der Mitarbeitenden. In der Arbeit mit uns erkennen sie dann, dass psychologische Sicherheit fehlt oder dass ihre Mitarbeitenden nicht mehr so loyal sind wie früher. In solchen Fällen unterstützen wir sie dabei, diese Themen gezielt anzugehen, indem wir an ihrer Vertrauenskultur arbeiten.

Oft wird über die Bedeutung des Menschen im Mittelpunkt gesprochen, aber was bedeutet das wirklich in der Praxis?

Es geht darum, sich auch wirklich für die Menschen im Unternehmen zu interessieren und nicht nur oberflächlich, um ihre Performance zu steigern. Will die Führungskraft wirklich das Potenzial nutzen, das diese Person mitbringt oder sieht sie es einfach nur als Mittel zum Zweck um sich selbst da groß darzustellen? Interessiert und fördert sie die Stärken und Bedürfnisse? Zeigt sie Wertschätzung? Sieht sie wirklich den Menschen?  Hier zeigt sich die Empathie. Ein schönes Beispiel dafür ist Indra Nooyi, die als ehemalige CEO von Pepsi jedes Jahr rund 400 Briefe an die Eltern ihrer Führungskräfte schrieb, um ihre Wertschätzung auszudrücken. Solche Gesten zeigen, dass es nicht nur um die Arbeitsergebnisse geht, sondern um die Menschen dahinter. Wenn Mitarbeitende sich wirklich gesehen und wertgeschätzt fühlen, steigt ihre Motivation und ihr Engagement enorm.


Mit der "Female Experts"- Serie begleite ich Expertinnen in die Sichtbarkeit. Teil davon ist eine kostenpflichtige Positionierungsberatung. Du bist Expertin für Neues Arbeiten oder Digitalisierung/KI? Dann buch bei mir einen virtuellen Kaffee:


Auf eurer Webseite steht: „Damit Vertrauen wachsen kann, braucht es Authentizität, Einfühlungsvermögen und Klarheit.“ Wie können Führungskräfte im Transformationsprozess authentisch sein? Was empfiehlst du ihnen, damit die Kommunikation richtig rüberkommt?

Authentizität ist ein zentraler Punkt in jedem Veränderungsprozess. Gemeint ist damit: Eine Führungskraft muss bereit sein, sich selbst zu reflektieren und auch mal zuzugeben, dass sie nicht alle Antworten hat. Es ist wichtig, die Mitarbeitenden frühzeitig in den Prozess einzubeziehen, ihnen gut zuzuhören und ihr Feedback ernst zu nehmen. Offene und ehrliche Kommunikation, kombiniert mit der Bereitschaft zur Verletzlichkeit, schafft Vertrauen und stärkt den Zusammenhalt im Team.

Wie sollten Führungskräfte aus deiner Sicht im Transformationsprozess mit Kritiker*innen und Widerstand umgehen?

Ich sage immer, sei froh, wenn du Kritiker hast! Widerstand zeigt, dass sich Menschen mit dem Prozess auseinandersetzen. Das ist etwas Gutes: Ein gesunder Diskurs führt oft zu besseren Entscheidungen. Wichtig ist, dass Führungskräfte diese Kritik nicht persönlich nehmen, sondern als wertvollen Input sehen. Nur durch eine offene Gesprächskultur können Skepsis und Bedenken in produktive Lösungen umgewandelt werden.

Wie kann man offene Kommunikation in Unternehmen fördern, wenn sie davor zu verhalten war? Helfen strukturierte Formate wie ein „Monday Breakfast“ oder informelle Treffen dabei?

Absolut! Solche informellen Formate sind ideal, um aus dem Arbeitsalltag auszubrechen und in einen lockereren Austausch zu gehen. Besonders im agilen Umfeld sind regelmäßige Retrospektiven wertvoll, um Feedback zu sammeln und das Team stetig zu verbessern. Auch im Online-Setting ist es wichtig, Raum für informellen Austausch zu schaffen – das kann schon ein kurzes Check-in am Anfang eines Meetings sein, bei dem man persönliche Fragen stellt wie: „Was hast du in letzter Zeit Spannendes gelernt?“

Gibt es abschließend einen Tipp, den du für Führungskräfte und Mitarbeitende hast, um morgen mehr Vertrauen im Unternehmen zu schaffen?

Das Wichtigste ist, bei sich selbst anzufangen. Führungskräfte sollten sich fragen: „Wie vertrauenswürdig bin ich selbst?“ und ihre Authentizität, Empathie und Logik in der Kommunikation reflektieren. Jeder und jede Einzelne, auch Mitarbeitende, sollte überlegen, wie er zur Vertrauensbildung im Team beitragen kann. Es sind oft die kleinen Gesten und die konsistente Offenheit, die das Vertrauen Schritt für Schritt stärken.

Die Vertrauensbildnerin: Stefanie Bräuer-Veigel

Stefanie Bräuer-Veigel berät und coacht mit „Begin with Trust“ gemeinsam mit Angelika Losek und Tasha Faltys-Linden Führungskräfte und Organisationen, um mehr Vertrauen und offene Kommunikation in der Führung und Kultur zu etablieren und New Work gelingend zu gestalten. Mehr zu ihrer Arbeit findest du auf www.begin-with-trust.com.

Weitere Beiträge
Systemisches Konsensieren - der Weg in eine neue Politik?
Viele Menschen haben genug von einer Politik, die sich an Macht und Parteiinteressen orientiert. Der Grazer AHS-Lehrer Gerhard Winter setzte sich zeit seines Lebens für Systemisches Konsensieren im Parlament ein - und damit für mehr Sachpolitik statt Machtpolitik. Ein Nachruf.
13 Super Skills, die dein Arbeitsleben und Leadership für immer verändern
Mein neues Buch nimmt die mit auf die Reise der inneren und äußeren Transformation - für ein bewusstes und erfüllendes (Arbeits-)Leben.
"HR-Insights": Webinare, die dich weiterbringen
In der exklusiven Webinar-Reihe "HR-Insights" von Personio zeigen HR-Expert*innen aus Österreich, wie man Gehälter fair verhandelt, die Arbeitgebermarke auf LinkedIn stärkt und HR-Daten für Entscheidungen nutzt.
hopp rauf
magnifiercross