Der scheidende Gesundheitsminister Rudolf Anschober hat uns eine Sache gelehrt: Wenn Arbeit krank macht, ist es Zeit, die Reißleine zu ziehen.
Ich will mich nicht kaputt machen." Der österreichische Gesundheitsminister ist gegangen, weil ihn die Arbeit krank gemacht hat. Dass Rudolf Anschober in seiner Rücktrittsrede offen seine Überlastung und Überarbeitung thematisiert hat und seine früheren Erfahrungen mit Burnout beschrieben hat (und hier auch differenziert hat), ist so ein wichtiges Signal. Es zeigt aber auch ein krankmachendes System der Dauerleistung, des 24/7-Funktionierenmüssens, der Selbstausbeutung, die einen an den eigenen Abgrund treiben kann. Politik ist aufreibend, zehrend und ein Achtstundentag ein frommer Wunsch. Wo viele denken, dass "es sich die da oben schon richten", – was charakterbedingt sicher auf die einen oder anderen zutrifft - richten sich manche gegen ihre eigene Gesundheit.
Wenn die Depression dennoch bleibt oder das Herz versagt, kann auch Geld nicht mehr heilen. Am Ende ist die eigene Gesundheit doch schlicht unbezahlbar.
Auch in einer so herausfordernden Zeit und auch in so einer verantwortungsvollen Position wie jener eines Gesundheitsministers müsste es möglich sein, einen Gang herunterzuschalten - gerade auch, um leistungsfähig zu bleiben. Der Entscheidungs- und Erwartungsdruck (nicht nur) auf Regierungspolitiker*innen ist und war sicherlich enorm, die Arbeitsstunden exorbitant, das sollten wir alle anerkennen, auch wenn Politikerbashing in den Sozialen Medien gerade sehr salonfähig geworden ist. "Kein freier Tag in 14 Monaten", so wie Rudolf Anschober es beschrieben hat, ist absolut unzumutbar, egal für wen. Jemand mit mehr als 10.000 Euro Gehalt im Monat kann sich schon mal überarbeiten, heißt es dann. Derjenige kann sich einen Therapeuten, einen Luxuskuraufenthalt, die besten Ärzt*innen leisten. Das stimmt zwar, aber wenn die Depression dennoch bleibt oder das Herz versagt, kann auch Geld nicht mehr heilen. Am Ende ist die eigene Gesundheit doch schlicht unbezahlbar.
Das gilt für Regierungspolitiker*innen wie für Topmanager*innen wie für Fabriksarbeiter*innen und Startup-Gründer*innen. Arbeit muss menschlicher werden – für alle. Und ja, es ist in Ordnung, kurzfristig Spitzenarbeitszeiten in Kauf zu nehmen, wenn es der Sache dient und man längerfristig etwas davon hat und dafür entschädigt wird. Oder weil es einfach gerade nicht anders geht. Aber nach ein paar Tagen und spätestens nach ein paar Wochen müssen Strukturen der Entlastung geschaffen werden. Im Außen und im Innen.
Wer krank ist, ist schnell unten durch
Als ich vor einigen Jahren mit einer schweren, wohl stressbedingten, Schilddrüsenerkrankung von meiner Ärztin knapp am Spitalsaufenthalt vorbei in den Krankenstand geschickt wurde, war die erste Reaktion meiner ehemaligen Chefin: "Aber du kannst doch sicher von zuhause aus arbeiten, das ist doch nicht so schlimm." Es war leider doch schlimm: mein Herz raste, mein Körper zitterte dauerhaft, ich konnte nicht mehr klar denken, geschweige denn Leistung erbringen. Als ich ein paar Wochen später wieder aus dem Krankenstand kam (und alles andere als leistungsunwillig war), wurde mir klargemacht, dass von mir 120 Prozent Leistung erwartet werde. Man unterstellte mir dezent, mich auf der faulen Haut ausgeruht zu haben.
Ich nehme es meinem damaligen Arbeitgeber nicht übel, die Reaktion war naturgemäß. Die Crux an der Sache ist: Unser Wirtschaftssystem ist nach wie vor auf "Funktionierenmüssen" aufgebaut. Das ist bis zu einem gewissen Grad verständlich, aber: der Mensch ist keine Maschine. Er kann nicht dauerhaft auf Kommando funktionieren. Und er kann auch nicht dauerhaft unter einem enormen Erwartungs- und Erfolgsdruck pausenlos Leistung bringen, wie es bei Minister Anschober der Fall war.
Stressfaktor Pandemie
Die Corona-Pandemie bringt uns alle in einen mentalen und psychischen Ausnahmezustand: Zukunftsängste und Sorgen aufgrund der Jobunsicherheit oder bereits bestehender Arbeitslosigkeit nehmen zu. Viele Menschen haben nie gelernt, Selbstfürsorge zu betreiben: sie funktionieren für ihre Kinder, ihren Partner, den Job, für ihr Unternehmen, für andere. Sie achten zu wenig darauf, wie es ihnen wirklich geht, ob sie vielleicht schon am Rande des erträglichen Stresses angelangt sind, ob ihre Stimmung schon dauergetrübt ist und sie vielleicht schon das Gefühl haben, die Kontrolle zu verlieren und bald gar nicht mehr funktionieren zu können. Gut, dass Unternehmen in betriebliche Gesundheitsförderung investieren – nur haben sie während der Pandemie leider damit aufgehört. Denn gerade jetzt ist es so wichtig, auf die Gesundheit zu schauen. Und gerade jetzt sollten das auch Unternehmen für ihre Führungskräfte und Mitarbeiter*innen tun – auch im Topmanagement selbst.
Das beginnt mit zwei Fragen: "Wie geht es mir gerade wirklich?" und "Wie geht es dir?"
Klar zählt die Leistung in Unternehmen, denn darauf gründet ihr Erfolg. Aber solange Menschen auf ihre Funktion als "Leistungsträger" reduziert werden, wird sich das Arbeitsleben nicht zum Besseren verändern. Dann gibt es eben hohe Fluktuations- und Krankenstandszahlen, dann müssen sich Unternehmen eben weiter wundern, warum sie Mitarbeiter*innen verlieren oder gar nicht erst finden. Kreativität, Innovationsfähigkeit, Leistungsfähigkeit hat als Basis immer die Gesundheit – und die ist nicht verhandelbar.
Wir müssen genauer hinsehen, wenn es um unsere Gesundheit geht. Und wir müssen auch "denen da oben" zugestehen, dass sie Menschen sind, die sich nicht für ihren Job kaputt machen sollten. Alles Gute an Rudi Anschober, auf dass er bald genese und sich in Ruhe auf sein Vorhaben, einen politischen Roman zu schreiben, konzentrieren kann. Und an alle da draußen: lasst euch niemals von eurer Arbeit kaputtmachen.
Kein Job der Welt ist das wert.