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"Spätestens jetzt ist es Zeit, auf die Mitarbeiter*innen zu schauen"

Kategorie:
Autor: Nicole Thurn
Datum: 15.04.2021
Lesezeit: 
5 Minuten

Interview. Vertrauen, Agilität und eine gesunde Belegschaft: Unternehmen müssen sich jetzt gut aufstellen, um  nach der Krise bestehen zu können, sagt Stephan Poschik, CEO von Corporate Health Consulting.

Wie stellen sich Unternehmen und HR-Abteilungen für die Zeit nach Corona am besten auf? Der CHC Summit 2021 beleuchtet am 6. und 7. Mai 2021 mögliche Lösungen und Wege zum Thema „HR in der Post-Covid-Zeit“ – gemeinsam mit renommierten Speaker*innen wie der HR-Expertin Martina Hofer Moreno, dem Coaching-Psychologen Flooris van der Walt, Berater und Autor Gunhard Keil und Ruder-Weltmeister Bernhard Sieber und dem „10.000 Chancen“-Initiator Bernhard Ehrlich, ebenso wie mit Arbeitspsychologin Veronika Jakl und dem Europäischen Wirtschaftssenator, Unternehmer und Autor Marco Scherbaum.

Stephan Poschik, Geschäftsführer von Corporate Health Consulting und Initiator des Summit hat uns vorab im Interview erzählt, wie Unternehmen sich durch die Krise neu aufstellen können – und warum jetzt die Zeit ist, dass sie auf ihr wertvollstes Gut achten – ihre Mitarbeiter*innen.

New Work Stories: Stephan, du berätst und coachst Unternehmer*innen. Was ist denn dein unternehmerisches Learning aus über einem Jahr Corona-Krise?

Stephan Poschik: Für mich ist in der Krise das Credo meines Unternehmens noch stärker zum Tragen gekommen, nämlich: Gib niemals auf. Es ist wurscht, ob du auf die Nase fällst – solange du aufstehst und schaust, wie und was du verändern musst, bist du auf dem richtigen Weg. Es werden immer Situationen kommen, mit denen du als Unternehmer nicht rechnest – bis hin zum globalen Ausmaß einer Pandemie. Ich kenne Unternehmen, die nach einem Jahr Corona immer noch darauf warten, dass alles vorbei geht und so wird wie früher. Das wird aber nicht passieren. Auch wenn wir uns in einer Krise befinden, bin ich überzeugt: Unternehmen haben jetzt so viele Chancen wie nie zuvor. Denn: Die Welt hat derzeit so viele Probleme wie noch nie zuvor. Wenn sich Unternehmen jetzt gut aufstellen und aus der Krise lernen, haben sie alle Möglichkeiten.

Die Pandemie ein globaler Reset. Viele müssen Mitarbeiter*innen entlassen, Kosten einsparen, ihr Geschäftsmodell überdenken. Wie können wir die Krise als Neustart nutzen – was sind die ersten Schritte?

Es kommt natürlich darauf an, in welcher Situation sich die Unternehmen befinden. Daher ist eine Statusanalyse der erste Schritt: wo steht das Unternehmen und wie ist die Organisation aufgestellt? Wie hat sich der Markt verändert? Muss man sich neu aufstellen, sich sogar neu erfinden, sich digitalisieren und das Marketing verändern? Die Standortbestimmung ist für alle Unternehmen bis hin zu Einzelunternehmer*innen wichtig. Wenn ein Unternehmen diese Standortbestimmung nicht macht und weitermacht wie früher, verlieren sie ihre Mitarbeiter*innen. Das Mitarbeiterengagement sinkt, die Bindung geht verloren und die Mitarbeiter*innen kündigen innerlich. Wir sind in einer Situation, in der die Unternehmen auf ihre Mitarbeiter*innen schauen müssen wie überhaupt noch nie. Denn ihre Belastungen und Ängste sind enorm – nicht zuletzt durch die Medien, Lockdowns und die krisenbedingte Planungsunsicherheit.

Das heißt, jetzt ist die Zeit, sich um die Mitarbeiter*innen zu kümmern?

Ja, denn gerade in der Krise brauche ich die Mitarbeiter*innen an Bord. Sowohl durch Home Office als auch durch Kurzarbeit ist der gefühlte Abstand zwischen den Mitarbeiter*innen und dem Unternehmen, der Unternehmensmarke, groß geworden – ähnlich wie nach der Babypause oder einem sehr langen Krankenstand. Fast eine halbe Million Menschen sind in Österreich in Kurzarbeit. Viele von ihnen  haben seit Monaten nichts mehr von ihrem Arbeitgeber gehört. Sie erhalten vielleicht in regelmäßigen Abständen einen Vertrag zur Verlängerung der Kurzarbeit. 

„Die Krise ist ein Katalysator. Die Corona-Pandemie ist nicht die Ursache von Problemen in Unternehmen,

sondern sie potenziert Probleme und Chancen, die vorher schon da waren,

in unglaublichem Tempo ins Unermessliche.“

Ist die Krise auch die Zeit, die blinden Flecken der Vergangenheit aufzudecken?

Die Krise ist ein Katalysator. Die Corona-Pandemie ist nicht die Ursache von Problemen in Unternehmen, sondern sie potenziert Probleme und Chancen, die vorher schon da waren, in unglaublichem Tempo ins Unermessliche. Das bedeutet: wenn Unternehmen schon vor der Krise nur wenig auf ihre Mitarbeiter*innen geachtet haben, dann wird ihnen dieses Thema jetzt um die Ohren fliegen. Wenn sie vorher schon hohe Fluktuationskosten hatten oder Probleme hatten, gute Mitarbeiter*innen zu halten oder zu bekommen, dann wird das jetzt ungleich schwieriger. Das Gleiche gilt für die Digitalisierung. Auf Zwang und auf Druck einen Prozess zu digitalisieren, der vielleicht schon vor der Krise schlecht aufgesetzt war, funktioniert allerdings nicht – leider beobachte ich das immer wieder in Unternehmen.

Von diesem panischen Digitalisierungs-Reaktionismus höre ich auch immer wieder.

Das ist eines der erschreckendsten Dinge, die ich in Unternehmen beobachte. Ich habe das Gefühl, dass die Entscheider – bis hin zum Topmanagement und Vorstand – vergessen haben, wie man mit Krisen umgeht. Es wird von einem Tag auf den nächsten plötzlich nur mehr reagiert, und zu wenig nachgedacht, ob das Vorhaben überhaupt Sinn macht, in die richtige Richtung geht und welche Folgen es haben könnte. Ich möchte aber ergänzen: Seit einem Jahr gibt es keine Planungssicherheit. Wir alle sind daher bis zu einem gewissen Grad gezwungen, zu reagieren. Was wir statt eines blinden Reaktionismus allerdings eher brauchen, ist Agilität. Das ist auch seit Jahren nix Neues, es wird nur selten umgesetzt.

Agilität hilft dabei, in Krisen schneller zu agieren, zu modifizieren und zu adaptieren. Was sind die ersten Schritte, wenn es bis dato keine agilen Strukturen in der Organisation gibt? In der Krise neue Organisationsformen einzuführen ist doch extrem herausfordernd?

Nur ein Wort: Vertrauen. Damit Agilität funktioniert, ist Vertrauen die Basis. Eine der ersten Fragen in unseren Remote-Leadership-Workshops ist jedes Mal: Wie kann ich meine Mitarbeiter*innen im Home Office kontrollieren? Wenn ich als Führungskraft über mein Team im Home Office denke: „Wie kann ich dafür sorgen, dass sie wirklich arbeiten und nicht nasebohren?“; wenn ich als Mitarbeiter die Haltung habe: „da bin ich jetzt gespannt, wie der Chef das machen wird –  in den letzten Jahren haben wir uns ja auch nicht auf seine Aussagen verlassen können“, dann ist Agilität unmöglich. Dann kann ich Agilität wollen, planen und initiieren, sie wird nicht funktionieren. Die Problematik ist allerdings: wir können Vertrauen nicht auf Knopfdruck herstellen.

Wie kann man unter dem vorhandenen Krisendruck Vertrauen herstellen, wo keines war?

Man muss als Topmanager*in oder Unternehmer*in bei sich beginnen – und Vertrauen geben. Wichtig sind dabei klare Rahmenbedingungen und offene und klare Ansagen. Mit Kontrolle und Micromanagement hat das aber nichts zu tun. In meiner Firma gibt es eine Rahmenarbeitszeit zwischen 6 und 20 Uhr, es gibt eine tägliche Maximalarbeitszeit. Die Arbeit muss zur gemeinsam besprochenen Deadline erledigt sein. Klare Rahmenbedingungen und Vorgaben von oben sind im Krisenmanagement wichtig – egal ob es um Kommunikation, Arbeitszeiten, Leadership geht. Demokratische Diskussionen über Rahmenbedingungen bringen in der Krisenphase nichts und kosten nur Zeit. Es war beispielsweise im ersten Lockdown eine klare und wichtige Vorgabe der Regierung, Unternehmen aufzufordern, soweit möglich ins Home Office zu wechseln.

Wenn es nach einigermaßen überstandener Krise darum geht, eine dauerhafte Lösung zu finden, muss ich Mitarbeiter*innen auf jeden Fall einbinden. Dazu kann man eine interne Befragung im Unternehmen machen: wie ist es dir im Home Office ergangen, wie viele Tage würdest du in Zukunft das Home Office nutzen wollen? Was hat im Home Office funktioniert, was nicht? Dann können die Mitarbeiter*innen selbst in Projektgruppen oder in einem Gesundheitszirkel eine dauerhafte Home-Office-Lösung erarbeiten. So kann eine gute Lösung für die Mitarbeiter*innen und für das Unternehmen herauskommen.

Wie sieht es mit mentaler und physischer Gesundheit in den Betrieben aus? Ist das ein Thema, dass Unternehmen jetzt auf die Agenda setzen?

Als der erste Lockdown im Frühjahr 2020 losging, stoppten die Unternehmen sämtliche Gesundheits- und Incentives-Maßnahmen für ihre Mitarbeiter*innen. Das war meiner Meinung nach ein großer Fehler, denn: Wen brauchen Unternehmen, um aus der Krise zu kommen? Was löst denn das für eine Reaktion bei den Mitarbeiter*innen aus, wenn eine Krise kommt, die sie am härtesten trifft und ihnen dabei alles weggenommen wird? Die Physiotherapie, die Massagen, der Obstkorb, die Pausen, die Gesundheitstage, das Kaffeepläuschen …

Was wäre die Alternative: das Thema Gesundheit virtuell auf die Agenda setzen, den Mitarbeiter*innen einen Obstkorb ins Home Office schicken?

Ich möchte vorausschicken: Wir reden meist von den Home Office Arbeiter*innen. Aber Produktionsmitarbeiter*innen und Handwerker*innen haben plötzlich ebenfalls keine Incentives mehr bekommen. Sie haben die Kolleg*innen der vorigen oder nächsten Schicht nicht mehr gesehen, durften keine gemeinsamen Pausen mehr in den Sozialräumen machen. Diese Gruppe wird oft vergessen, stellt aber hauptsächlich die kritische Infrastruktur dar. Und: Warum nicht den Mobilisierungsworkshop oder den Gesundheitsvortrag auch online für die Home Office Mitarbeiter*innen anbieten? Das ist nicht passiert. Zudem haben viele Firmen vergessen, dass sie auch virtuell eine klare Kommunikations- und Meetingstruktur benötigen. Wertschätzende Kommunikation wurde in den seltensten Fällen organisiert und strukturiert. In meiner Firma hatten wir ab dem ersten Home Office Tag täglich um 9 Uhr ein Morgenmeeting mit dem gesamten Team – und haben dort unsere Meetingstrukturen weiter angepasst. Das war wichtig, um uns gut abzustimmen. Es gibt Firmen, die nach einem Jahr immer noch keine regelmäßigen Meetings und Jour Fixes abhalten, sondern planlos und unkoordiniert Informationen weitergeben. Andere Unternehmen dagegen haben schon während des ersten Lockdowns regelmäßige Zoom-Cafés etabliert, in denen sich die Mitarbeiter*innen informell auch über Privates austauschen können. Man benötigt die formelle, operative Meetingstruktur, aber für die Unternehmenskultur unbedingt auch informelle Formate – dabei unterstützen auch Apps wie Clubhouse. All das ist so wesentlich für die mentale und psychische Gesundheit der Mitarbeiter*innen – egal in welcher Branche.

Disclaimer: Newworkstories.com ist Medienpartnerin des CHC Summit 2021.

Tickets zum Summit gibt es hier: https://chc-corporate-health-consulting.mykajabi.com/chc-summit

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Beitrag von Nicole Thurn

ist Herausgeberin von Newworkstories.com, New-Work-Enthusiastin und langjährige Journalistin mit einem kritischen Blick auf die neue Arbeitswelt.

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