Regine Eitelbös hatte alles, was sie sich wünschen konnte: einen spannenden und gut bezahlten Job, nette Kolleg*innen. Und doch fehlte etwas. Ihre Berufung fand sie über Umwege. Das sind ihre Erkenntnisse.
Brasilien 2006. Da habe ich es zum ersten Mal gespürt. Ich war erfüllt und glücklich, umringt von Kindern, denen ich Englisch beibringen sollte.
Doch zurück zum Anfang. Denn der Weg zu meinem beruflichen Sinn und zu dem, was ich wirklich, wirklich will, war ganz schön verschlungen.
Irgendwie hab ich nie gewusst, was ich wirklich, wirklich will. Ich habe mir auch nie darüber Gedanken gemacht. Wozu auch, das Leben war sowieso immer ok und aus irgendeinem Grund war es auch immer gut zu mir. Sport hat mich schon als Kind begeistert. Ehrgeizig war ich auch. Im Ballett bin ich schon als kleines Mädchen herausragend, mit großem Bedauern nehmen mich meine Eltern gegen meinen Willen aus dem Training. „Weil es nicht gut für die Füße ist“. Ein harter Schlag für mich.
Als ich dann nach Abschluss der Matura der HBLA in der Tasche habe, stehe ich da wie so viele Jugendliche. Was jetzt? Wie so viele andere denke ich mir: Ein Studium an der WU kann nicht falsch sein. Internationale BWL, logisch. Nach einem Studienjahr, das mehr aus Parties als aus Lernen bestand, die Zwischenbilanz: So geht’s nicht. Meine Eltern sprechen Tacheles mit mir. Entweder ich studiere richtig oder ich suche mir einen Job.
Also taucht wieder die Frage auf: Was will ich eigentlich?
Nach doch reichlicher Überlegung ein Entschluss: Ich will eine Ausbildung zur Masseurin machen, am liebsten zur Sportmasseurin – ich habe mit Menschen zu tun und mit Sport auch. „Kommt gar nicht in Frage. Wie sollst du dir denn damit deinen Lebensunterhalt verdienen?“, ist die Antwort meiner Eltern. Also gut, dann eben doch ein Wirtschaftskolleg. „Ja, das klingt doch wunderbar“, sagen sie.
1999 schließe ich ab und im Jahr 2000 lande ich meinen ersten Job an einer Universität in Wien, als Assistentin an einem Institut. Es macht Spaß. International, Englisch, liebe Kolleginnen, erfahrener Chef.
2004 wird aus dem Institut eine eigene Institution. Viele Veränderungen. Es schleicht sich zum ersten Mal ein Gefühl des „Das kann doch nicht alles sein“ ein. Ich beschließe die Universität zu verlassen und starte 2006 im HR und als Assistenz in einer renommierten Strategieberatung. Eine spannende Erfahrung. Viele Stunden im Office, gute Gage, Recruitingprozesse, nette Kolleginnen. Trotzdem: Irgendwie fühle ich mich leer. Es erscheint mir nicht fair, so viel Geld zu verdienen, wo es doch weltweit so viel Leid gibt. Ich fasse den Entschluss, der Welt etwas zurück zu geben und kündige. Einfach so. „Was willst du machen? Bist du verrückt? Das kannst du doch nicht tun!“, sind nur einige der Aussagen, die mir um die Ohren fliegen. „Einen so tollen, gut dotierten Job aufgeben? Echt jetzt? Spaß oder?“ Nein, es ist mein voller Ernst.
Kaltes Wasser in Parajuru
Kaltes Wasser in Parajuru
Ich wollte immer schon mehr reisen und suche mir ein österreichisches Projekt in Brasilien, schreibe mich in einen vierwöchigen Portugiesisch-Kurs ein, buche ein Ticket und ab geht’s. Allein, als junge Frau Mitte Zwanzig. Nach dem Sprachkurs und Windsurfen in Salvador da Bahia geht es nach Parajuru, in ein kleines Fischerdorf im Norden Brasiliens, wo eine Österreicherin eine Schule aufgebaut hat. Ich habe weder eine pädagogische Ausbildung noch jemals in irgendeiner Weise Vorträge gehalten. Meine Erwartung war ein Zusammenkommen mit den anderen Freiwilligen, Einschulung, Übergabe und dann langsam in die Materie der Lehre eingeführt zu werden.
Tja, nicht ganz… Am Tag meiner Ankunft eröffnet mir der Leiter, dass er mich am nächsten Tag im Klassenraum braucht – ich soll die 5- bis10 Jährigen in Englisch unterrichten. Die Klasse gilt als schwierig, es fliegen angeblich auch mal Sessel durch die Luft.
Ich habe die halbe, oder vielleicht doch die ganze Nacht keine Auge zu bekommen. Punkt 8 stehe ich in der Klasse. 15 leuchtende brasilianische Kinderaugenpaare schauen mich prüfend an. In mir drehte sich alles. Am liebsten will ich schreiend selbst ein paar Sessel werfen und dann mit Lichtgeschwindigkeit den Raum verlassen. Abstimmung mit den anderen Lehrerinnen ist nicht möglich. Alle sind abgereist.Ich bleibe. Zu weit bin ich schon gekommen. Und nach und nach gelingt mir, eine Beziehung zu den Kindern aufzubauen. Ein wunderschönes, erfülltes Gefühl erobert mich.
Ich unterrichte auch Englisch für Jugendliche und nehme meinen Auftrag sehr ernst. Jede Stunde bereite ich intensiv vor. Ausgleich gibt mir der tägliche Morgenlauf am Strand und Capoeira.
Nach meinem Projekt in Brasilien bin ich sicher: Das ist es, was ich wirklich, wirklich will. Ich möchte Kinder und Jugendliche begleiten, ihnen etwas mit auf den Weg geben und die eine Leuchtturmperson sein, die an sie glaubt.
Rückholaktion
Zurück in Österreich starte ich voll motiviert in die Ausbildung zur Kindergesundheitstrainerin, dann ein Anruf: der Dekan der Universität, an der ich früher gearbeitet habe, ist dran: „Gina, wir hätten da einen ganz tollen Job für dich. Reisen nach China, Indien und Amerika inklusive.“ Reisen und internationale Kollegen: Das klingt verlockend.
Ich starte also im Jahr 2007 wieder an der Uni.
Der Job ist gut bezahlt und spannend. Doch der Wunsch, das Gefühl des „Erfülltseins“ wieder zu erleben, wie ich es in Brasilien erlebt habe, lässt mich nicht mehr los. Er taucht immer wieder auf, verschwindet im Lärm des Alltags aber auch wieder ganz schnell. Keine Zeit um hinzuspüren, geschweige denn hinzuschauen oder mich damit auseinanderzusetzen. Die Arbeit an der Uni ist bereichernd und lehrreich, aber die Arbeitslast steigt. Ich bitte um Ressourcen und fühle mich zunehmend leer. Seit Jahren unterstütze ich in meinem Job Executives, die in ihrem Leben schon sehr weit fortgeschritten sind, auf ihrem Bildungsweg und in ihren Karrieren. Das ist eine schöne Aufgabe und trotzdem denke ich, es gibt noch ganz viele Menschen, die gar nichts haben. Sie möchte ich unterstützen.
2018 bewerbe ich mich für eine Stelle im Fundraising, aber meine Schulter spielt gerade nicht gut mit. Also gut, Fokus auf die Gesundheit: Operation, Reha, dann ein langersehnter Traum: Mit 40 will ich einmal an einem Triathlon teilnehmen. Gesagt, getan, zwar ein Jahr Verspätung aufgrund der Schulter, trotzdem: 2019 ist es dann soweit und ich absolviere meinen ersten Triathlon in der Sprint-Distanz. Ein großartiges Gefühl. Das harte Training hat sich ausgezahlt und fürs Leben kann ich vieles mitnehmen. Neben Disziplin und Durchhaltevermögen auch die Erkenntnis, wie wichtig Regenerationspausen sind.
Dann nehme ich mir zwei Tage Urlaub, um endlich rauszufinden, was ich wirklich, wirklich will. Zwei Tage lang sitze ich im Garten und recherchiere Ausbildungen, Seminare, Möglichkeiten. Irgendwie scheint nichts dabei zu sein. Das gibt’s ja nicht. Nichts passt. Entweder scheitert es an der Kompatibilität mit der Arbeit oder an der mit meinen Kindern. Für sie möchte ich auch genügend Zeit haben. Frustration macht sich breit und ich denke ich lass es, es wird schon auf mich zukommen. So ist es sinnlos, ich spüre es führt zu nichts, meine „gezielte effektive Suche.“
„Würde“ heißt das Buch, das ich von Gerald Hüther lese. Auf den letzten Seiten gibt es Verweise. Eine „Akademie der Potentialentfaltung“. Ich folge der Website und entdecke auf den Partnerseiten das Tiroler Institut für Logotherapie. Dort geht es darum, Menschen dabei zu begleiten, ihren Sinn finden, dem eigenen Weg näher kommen, mit sich selbst und der eigenen Aufgabe auf die Reise gehen. Ja, das ist es! Freude, Begeisterung, Dankbarkeit macht sich breit. Ich fühle: das ist das Richtige.
Logotherapie: Ausbildung mit Sinn
2019 startet die Ausbildung zur Logotherapie. Es ist anders in der Runde der Logotherapie. Kein Druck. Zeit. Selbsterfahrung. Peer Group. Es ist nicht immer leicht, da es ganz viel um sich selbst geht und das nicht unbedingt immer angenehm ist. Trotzdem, es gefällt mir und bringt mich näher zu meinem Herzen.
Im Turnverein meiner Tochter gibt es zur selben Zeit einen Engpass an Trainerinnen. Ich unterstütze sie, anstatt nur Zuschauerin zu sein – und bin erfüllt. Trotzdem ich bei Sonnenschein im Turnsaal im Keller stehe, trotzdem ich nichts „für mich“ tue, trotzdem ich dann danach einkaufen und Besorgungen erledigen muss und die Zeit nicht „effizient“ genutzt habe. Ich schreibe meine „Big 5 for Life“ auf und lese sie jeden Tag. Bei einem davon steht: „Ich werde 2/3 meiner Arbeitszeit in Bewegung oder im Freien verbringen“. Im Sommer ruft mich Andrea, die Trainerin meiner Tochter, an und fragt, ob ich mir vorstellen könnte, Bewegungseinheiten für den Turnverein abzuhalten? Ich? Wie? Äh,…puh, ja, warum eigentlich nicht? Irgendwie spooky wenn ich daran denke, was ich als einen meiner Wünsche aufgeschrieben habe …
Es geht Schlag auf Schlag. Mittlerweile bin ich Jackpot Fit Trainerin und konnte zwei Gruppen wieder zur Bewegung motivieren. Sowohl im Turnsaal als auch offline. Manch einer mag vielleicht sagen: „Was sind schon 15-20 Personen?“ Meiner Meinung nach ist es jede einzelne Seele, die zählt. Wenn ich es schaffe, auch nur ein einziges Leben zu verbessern, hat es sich bereits ausgezahlt.
Die Logovision und die Lehre Viktor Frankls stärkt mich sehr. Es ist auf einmal kein „Weg-von“ mehr. Vielmehr ist es ein „Hin-zu“ dem langersehnten Wunsch meines Herzens geworden. Ich will hin zu meiner Sehnsucht, jenen Menschen zu helfen, die noch nicht so weit gekommen sind.
Das Leben - ein buntes Kaleidoskop
2020, während der Corona-Pandemie, fasse ich den Entschluss: Bildungskarenz, mich voll der Logotherapie widmen, ausprobieren, Menschen helfen und selbst wachsen. Meine Chefin ist verständnisvoll, wenn auch etwas geknickt, dass sie mich als Mitarbeiterin gehen lassen wird. Trotzdem, sie kann meinen Herzenswunsch verstehen und bietet mir Unterstützung an, falls ich sie brauche. Wow! Wertschätzung selbst in dieser Situation. Was für eine unerwartete und schöne Erfahrung. Ich bin dankbar und weiß, auf dem richtigen Weg zu sein.
Freunde und Familie reagieren nicht ganz so verständnisvoll. „Diesen sicheren Job willst du aufgeben? Mitten in einer Pandemie? Bist du dir sicher?“ sind nur einige der Sätze, die ich höre.“ Ah ja“, denke ich, das kenn ich schon. Been there, done that. Erinnert mich höchstens an meine Zeit vor Brasilien, herzerwärmende Erinnerungen tauchen wieder auf. Schön. Ja, ich bin am richtigen Weg. Meiner langjährigen Arbeitgeberin bin ich immer noch treu, mit verringertem Stundenmaß. Dafür bin ich dankbar.
Das Leben – ein buntes Kaleidoskop
Was genau ich machen will? Womit ich in Zukunft mein Geld verdienen möchte? So ganz genau weiß ich es noch nicht. Ich nehme mir Zeit, es heraus zu finden. Eins steht fest: Menschen unterstützen. Durch Bewegung und Begegnung. Ältere Personen, die wieder zur Bewegung finden möchten und Kinder und Jugendliche, die den Glauben an sich selbst verloren haben.
Ich bin die Kaleidoscope-Komponistin. Ich bin der festen Überzeugung, dass in jeder von uns ein buntes, leuchtendes Kaleidoskop inne wohnt. Manchmal ist es vielleicht ein wenig verschüttet. In Zukunft möchte ich noch mehr Menschen auf Ihrer Reise zu ihrem inneren Kaleidoskop begleiten. Als Jackpot-Fit Trainerin motiviere ich sie, wieder in die Bewegung zu kommen. Im „Sinngarten“ stärke ich die mentale Seite der Teilnehmerinnen. Im „Turngarten“ spielen Bewegung und Begegnung ebenfalls eine große Rolle. Wie rückblickend schon so früh in meinem Leben klar war, sind es zwei Dinge, die mich antreiben: Bewegung und Begegnung mit Menschen.
Ich bin auf meinem Weg und arbeite weiter an meinem neuen Ich, das ja in Wahrheit immer schon da war. Denn wie Tom Hiddleston schon sagte:
Hier geht's zur Webseite der Kaleidoscope-Komponistin Regine Eitelbös: www.die-kaleidoscope-komponistin.at