Die Leistung anderer abwerten, kritisieren und schimpfen: das geht uns leichter von den Lippen als lobende, anerkennende und wertschätzende Worte. Warum eigentlich?
Bunte Schmetterlinge, Blumen, Elefanten und verspielt-verschnörkelte Sprüche zieren die Bilder, Tassen und Bücher im kleinen, hellen Shop in St. Johann in Tirol. Tina Hötzendorfer hat „Rollin‘ Art“ in einer Phase ihres Lebens gegründet, die alles andere als bunt und fröhlich war. Nach einem Snowboardunfall im Jahr 2008 wachte sie auf der Intensivstation auf und konnte sich nicht mehr bewegen. Diagnose: ab dem 10. Wirbel gelähmt.
Schon auf der Intensivstation begann sie diese bunten Bilder zu malen, mit einer besonderen Technik: sie stützt die rechte Hand mit der linken: „ich muss immer aufpassen, dass ich nicht nach vorne kippen, weil meine Bauchmuskeln nicht funktionieren“, erzählt sie am Podium des Female Future Festival in Wien. „Ich bin in einige schwarze Löcher gefallen“, sagt sie und das zu glauben, fällt nicht schwer. „Irgendwann hab' ich begonnen, mich auf das zu konzentrieren, was noch möglich ist. Ich habe mich selbst gefunden und seither ist mein Leben schön.“ Dass es die kleinen Dinge sind, die glücklich machen, will sie mit ihrer Kunst zeigen. Die junge Frau hätte sich auch aufgeben können. Und kurz nach dieser Diagnose wäre ihr das nicht zu verdenken gewesen. Doch sie hat eine Stärke, die sie von vielen anderen Menschen unterscheidet: „Ich bin eine Optimistin“, sagt sie.
Für mich ist Tina Hötzendorfer das natürliche Beispiel Positiver Psychologie. Viel zu selten fokussieren wir auf das, was gut ist.
Die Leistung anderer abwerten, Fehler und Niederlagen ansprechen, kritisieren, jammern und schimpfen: das geht uns tendenziell leichter von den Lippen als lobende, anerkennende und wertschätzende Worte zu finden. (Wenn ich hier pauschaliere, spreche ich auch von mir. Ich bin jemand, der sich den Optimismus über die Jahre versucht hat anzutrainieren, mit nach wie vor harten Rückschlägen). Gerade wenn in Unternehmen große Veränderungen anstehen, winden sich die Gehirnwindungen in vielen Köpfen. Bitte nicht schon wieder, das ist anstrengend, was soll das bringen? Blödsinn, was der oder die sagt. Wer bitte hat das nicht schon mal gedacht?
Hier sagt auch die Hirnforschung: je mehr negative Gedanken wir denken, desto mehr negative Gedanken werden wir denken. Unsere Gedanken fahren dann häufiger auf der Miesmacher-Autobahn und nur selten auf der Happy-Straße. Von den Synapsen-Arbeitern ausgebaut wird die stärker befahrene. Wir füttern unsere Gedanken, indem wir sie festhalten.
Sinn, Flow und Dankbarkeit
Martin Seligman hat bekanntermaßen die Positive Psychologie in den 1990ern im heutigen Sinne begründet und seither hat er viele Anhänger gewonnen, mich inklusive. Sein Credo: Die Psychologie sollte sich nicht nur mit Pathologien beschäftigen, sondern auch gesunden Menschen zu einem erfüllteren und zufriedeneren Leben verhelfen. Glück, Flow, Sinn, Liebe, Achtsamkeit, Dankbarkeit, Zielerreichung, Wachstum, bessere Beziehungen – damit bringt man laut Seligman im privaten wie beruflichen Kontext Menschen zum Aufblühen. In seinem Buch Flourish beschreibt Martin Seligman, wie wir durch den Fokus auf diese Felder glücklicher, zufriedener und entspannter werden und unser Leben bewusster gestalten.
Die Positive Psychologie beschäftigt sich mit dem gelingenden, glücklichen, sinnvollen und erfüllten Leben und mit den mentalen und psychologischen Voraussetzungen, die es ermöglichen. Das subjektiv gefühlte Glück hängt nicht nur vom Außen ab, sondern vor allem von der eigenen Innenwelt. Allerdings darf sie nicht mit dem Positiven Denken verwechselt werden, das auf einfachen Affirmationen beruht. Es geht nicht darum, immer positiv zu denken, auch wenn es gerade richtig mies läuft. Es ist nicht gut, wenn du deinen Job verlierst. Es ist nicht gut, wenn du Überstunden machen musst, weil umstrukturiert wird. Es ist auch nicht gut, wenn dein Chef dich runtermacht. Negatives schönzureden, ist nicht Sache der Positiven Psychologie. Allerdings: Das Erleben positiver Gefühle und Emotionen unterstützt unser Gehirn dabei, kreativer zu denken, rascher und vielfältigere Lösungswege zu finden, vernetzter zu denken und empfänglicher für positive Ereignisse zu sein bzw. sie überhaupt wahrzunehmen. Das hat POS-Forscherin Barbara Fredrickson in ihren Studien herausgefunden, sie nennt den Ansatz „Broaden- and Build Theorie“.
Das Prinzip ist nicht neu. Schon Abraham Maslow hat den Begriff der Positiven Psychologie 1954 begründet, dennoch blieb die Sparte jahrezehntelang defizitorientiert. Auch Aristoteles hat schon zwischen Hedonḗ, dem hedonistischen Glück und Eudemonia, dem sinnerfüllten Glück unterschieden. Der griechische Philosoph bezeichnete Hedonisten als grasende Tiere: sie jagten dem Genuss- und Lustbefriedigung hinterher und wollten immer mehr davon. Die Eudämonisten dagegen strebten nach einem tugendhaften, erfüllten Leben voller guter Werte.
Aus der Positiven Psychologie sind auf Basis diverser Studien die Ansätze der Positive Organisational Behavior und des Positive Leadership entstanden. Demnach setzt sich die individuelle Leistungsfähigkeit und Zufriedenheit im Job zusammen aus: ökonomischem Kapital („was wir haben“), intellektuellem Kapital („was wir wissen“) und sozialem Kapital („wen wir kennen“) und dem psychologischen, „wer wir sind“ oder „was wir sein können“, laut den Forschern Luthans, Youssef und Avolio. Demnach besteht das positive psychologische Kapital aus vier Teilen: Hoffnung, Selbstwirksamkeit, Resilienz und Optimismus. Die Forschung zeigt: Menschen mit hohem psychologischen Kapital arbeiten motivierter, lösungsorientierter und gehen besser mit Rückschlägen um (siehe www.tomhoff.de).
Herzstück des Positive Leadership und der Positive Organisations sind das PERMA-Modell und der Appreciative Inquiry:
1. Das PERMA-Modell von Martin Seligman:
Das PERMA-Modell hilft dabei, Meetings und den Umgang in Teams und Abteilungen positiver zu gestalten, indem Führungskräfte stärker auf die Stärken, Sinnorientierung und klare Kommunikation und wertschätzenden Beziehungsaufbau mit ihren Mitarbeitern achten. Die Akronyme beschreiben folgende Aspekte:
Positive Emotions: Positive Emotionen wie Dankbarkeit, Freude, Geborgenheit und Wärme senken den Stresslevel und lassen uns fokussiert und motiviert arbeiten.
Engagement: Wenn wir unsere Stärken im Job einsetzen, erreichen wir einen Flowzustand inklusive Dopaminausschüttung im Gehirn, der wiederum dazu führt, dass wir den Job engagiert und mit Hingabe machen. Für alle, die ihre Signaturstärken herausfinden wollen, haben Psychologie-Forscher der Universität Zürich auf charakterstaerken.org einen interessanten Fragebogen auf Basis der Positiven Psychologie (VIA-IS) entwickelt.
Relationships: Positive, konstruktive Beziehungen mit Führungskräften und Kollegen lassen ein Zugehörigkeitsgefühl und eine Vertrauenskultur entstehen. Erfolge verstärken sich, wenn man sie mit anderen teilen kann – und sie stärken das Zusammengehörigkeitsgefühl.
Meaning: Das Gefühl, Teil eines größeren Ganzen zu sein und Sinn in seiner Tätigkeit zu sehen, führt zu intrinsischer Motivation.
Achievement: Die Zielerreichung ist wesentlich für bleibende Motivation – sie aktiviert das Belohnungszentrum im Gehirn. Wenn wir klare, erreichbare Ziele vor Augen haben, arbeiten wir produktiver und motivierter.
2. Der Appreciative Inquiry von David Cooperrider:
„Leading change is all about strenghts”, sagt David Cooperrider. Wenn wir Veränderung und Transformationsprozesse gestalten wollen, müssen wir unbedingt auf die Stärken fokussieren – des Unternehmens, des Geschäftsmodells, der Mitarbeiter. Forscher David Cooperrider hat den Appreciative Inquiry (AI), eine positive Fragetechnik, für Unternehmen entwickelt. Sein Ansatz: die Dinge, die wir wertschätzen, steigen in ihrem Wert. Worauf wir unseren Fokus und unsere Energie richten, das wächst auch – im Guten wie im Schlechten. Die Arbeit mit dem AI kann die Kreativität und Stärken der Menschen fördern (siehe Vortrag von David Cooperrider auf YouTube).
Quellen:
Flourish: Wie Menschen aufblühen. Von Martin Seligman.
Positive Psychologie – ein Handbuch für die Praxis. Von Daniela Blickhan.
Positive Leadership. Von Ruth Seliger.
Positive Psychologie in Unternehmen. Von Michael Tomoff.