Gehälter mal anders: Am 15. Juni diskutierten wir mit Expert*innen in Wien zu alternativen Gehaltsmodellen - und was New Pay für New Work bringt. Wir haben den Talk als Podcast aufgezeichnet.
Geld regiert die Welt – und dennoch spricht man noch immer zu selten darüber. Das haben wir am 15. Juni geändert: Wir diskutierten bei den ersten Campfire Sessions von NewWorkStories im Seminarzentrum Markhof Wien unter dem Titel „New Pay – Fair Pay? Wie wir verdienen, was wir verdienen“ mit spannenden Expert*innen - ein Team-Experiment inklusive. Spontan mussten 2er- und 3er-Teams ein Legoprojekt überlegen und bauen - und erhielten dafür Schoko-Geldscheine. Nur: die einen bekamen 5 oder 20, die anderen 200 oder 500 Euro. Damit stiegen wir auch in die Diskussion ein: wenn jeder etwas Einzigartiges zum Gelingen eines Projekts beiträgt, was ist dann faire Entlohnung? Wie können Gehalts- und Anreizmodelle neu und fairer gedacht werden? Und was wollen Mitarbeitende wirklich, wenn es um Anreize und Gehälter geht? (der Panel Talk wurde als Podcast-Folge aufgezeichnet, Links dazu siehe oben).
Die erste Frage lag auf der Hand: was soll „New Pay“ denn überhaupt sein?
Nadine Nobile, Co-Gründerin des New Pay Collective und gemeinsam mit ihrem Mann Sven Franke und Journalistin Stefanie Hornung Schöpferin dieses Begriffs, erzählte eingangs, wie sie im Jahr 2017 im Zuge einer Blogparade zum Thema Gehälter den Begriff für den Hashtag fanden: „Wir dachten, wenn wir von New Work reden, liegt der Begriff New Pay als Begriff auf der Hand“, erzählte sie am Podium. Eineinhalb Jahre lang begaben sich die drei auf Forschungsreise in Unternehmen und beleuchteten innovative und alternative Vergütungsmodelle – die Reise mündete schließlich 2019 im Buch „New Pay“. Sie fanden Unternehmen mit Gehaltsräten, welche mit Einheitsgehältern, in denen alle gleich viel verdienten, welche, in denen die Belegschaft über die Ausschüttung von Gehaltserhöhungen bestimmte oder in denen öde Routinetätigkeiten mit zusätzlichen Entgelten kompensiert wurden. „,New Pay' ist eine Anti-Definition, eben kein konkretes Vergütungsmodell oder Entgeltbestandteil – sondern der Prozess, mit dem Unternehmen Vergütung nach New-Work-Prinzipien gestalten“, so Nadine. Wobei Partizipation den Unterschied mache: „Wenn Mitarbeitende ihre Gehälter selbst wählen, klingt das sehr new-workig – wenn das aber der Chef top-down eingeführt hat, ist es nicht wirklich New Pay“, erklärte sie den feinen Unterschied. New Pay zeichne sich durch sieben Prinzipien aus – die je nach Unternehmenskultur gemeinsam mit den Mitarbeitenden unterschiedlich gestaltet würden: nämlich Fairness, Transparenz, Selbstverantwortung, Partizipation, Flexibilität, Wir-Denken und Permanent Beta – also ständige Weiterentwicklung.





Von "Permanent Beta" im New Pay Prozess konnte am Podium auch Aldina Salihodžić, People&Culture Managerin bei der Wiener Steuerberatung Team23, berichten: „Ist die Büchse der Pandora erst einmal offen, gibt es kein Zurück.“ Als das Team von ursprünglich sechs rasch auf über 20 Mitarbeitende anwuchs, beschlossen Aldina und ihr Mann Edin, Geschäftsführer von Team23, gemeinsam mit den Mitarbeitenden, New Work einzuführen - samt Selbstorganisation und agilen Arbeitsweisen: „Wir sind keine normale Steuerberatung. Dabei bietet gerade die Steuerberatung ein super Umfeld für New Work“, sagte Aldina. „Um agile Arbeitsweisen gut umzusetzen, braucht man einen stabilen Rahmen und strukturierte Aufgaben – und das haben wir. Gerade das gibt uns die Freiheit, Zusammenarbeit neu zu gestalten. Für uns ist Einzelleistung ein Mythos – wir setzen alles auf Teamleistung.“ Sie schafften die Führung ab und setzten auf Selbstorganisation auf der Basis von Selbstverantwortung, „weil es eben möglich ist“. Und bald kamen sie zum logischen Schluss: „Um diese Art von Zusammenarbeit konsequent zu leben, muss man auch beim Gehalt umdenken.“ Aldina und Edin beschlossen gemeinsam mit dem Team, Lohntransparenz einzuführen – und führten dazu Einzelgespräche mit den Mitarbeitenden: „Wir haben die Leute aber gefragt, warum wir das nicht machen sollten – damit wir ihre Ängste und Bedenken besser verstehen" erzählte Aldina. Ein Gegenargument, Lohntransparenz nicht einzuführen, kam auch von den Arbeitgebern selbst, „nämlich die höheren Kosten. Aber wir sagten uns: wenn die Leute das Gefühl haben, fair bezahlt zu werden und so gut zusammenarbeiten, ist es uns das wert.“ Eine weitere Sorge war ein schlechtes Betriebsklima - also zu streiten, weil sich Leute in Sachen Gehalt benachteiligt fühlen. „Uns wurde aber klar: jede einzelne Person ist zuständig für ein gutes Betriebsklima – und jede fühlt sich dafür verantwortlich.“ Das dritte kritische Thema war das des Werts der eigenen Leistung. „Kann ich damit leben, dass ich über- oder unterbewertet wurde? Für uns war klar: solange wir unseren Wert im Unternehmen über das Gehalt definieren, wird das nix. Es gibt Menschen, über die funktioniert die Teamarbeit einfach besser – das kann man in Gehalt nicht abbilden", so Aldina Salihodžić.





Entlohnung ohne Geld
Eine freiwillige Gruppe von Mitarbeitenden entwickelt daher derzeit Kriterien, wie der Wert von Arbeit bei Team23 definiert und entlohnt wird: „Wir haben beschlossen, das Gehalt nur abzubilden, wo es messbar ist, nämlich bei Ausbildung und Berufserfahrung. Ein Teil der Entlohnung erfolgt auf der Beziehungsebene: dann entlohnen wir uns als Arbeitgeber und Arbeitnehmer gegenseitig mit Wertschätzung und anhand unserer Erwartungen.“ Eigentlich, so Aldina, käme Lohntransparenz erst viel später im New Pay Prozess und nicht gleich zu Beginn: „Aber wir wollten als Ziel ein nachvollziehbares Gehaltssystem, dass alles von Anfang an transparent und offen ist", erzählt sie. Möglich war das nur durch die bereits eher offene, kollegiale Unternehmenskultur.
Das Thema Geld und Gehalt sei in den Unternehmen ein sehr emotionales, bestätigte auch Nadine Nobile – denn die Frage, was ist fair, wer fühlt sich benachteiligt, schwinge immer mit. Das Prinzip Fairness ist im New Pay Prozess für jedes Unternehmen je nach Kultur anders gelagert – „wir unterscheiden zwischen Verfahrensgerechtigkeit und Verteilungsgerechtigkeit“, erzählt Nadine. Während es die Verteilung von Geld und Ressourcen eine gesellschaftliche Dimension hat, geht es bei der Verfahrensgerechtigkeit darum, dass alle Mitarbeitende mitreden dürfen und transparent in die Entscheidungen zum neuen Gehaltsmodell eingebunden werden.
Vergütungsexperte Stefan Waschmann setzt genau bei der Verteilungsgerechtigkeit an: Derzeit entwickelt er ein ausgeklügeltes Fair Grading System, dass nach einem Punktesystem den Wert von Arbeit in den verschiedenen Berufsgruppen bewertet – und Dimensionen wie psychische Belastungen und Stressfaktoren berücksichtigt, die in klassischen, manchmal für das 21. Jahrhundert „weltfremden“ Kollektivverträgen bisher ignoriert wurden. „In Österreich sind 98 Prozent der Unternehmen in Kollektivverträgen organisiert – sie waren ursprünglich dazu den Wert der Arbeit zu bemessen. Über die Jahrzehnte gab es eine Art Distanzierung zum ursprünglichen Zweck", erklärte Stefan Waschmann. Ein Beispiel: „Es gibt etwa Kollektivverträge, über die Staplerfahrer*innen um zehn Prozent mehr verdienen als Lohnverrechner*innen – das passiert, wenn keine ordentlichen Kriterien zur Bemessung vorhanden sind.“ Etwa sei die „facheinschlägige Ausbildung“ oft das einzige Kriterium zur Einstufung im Kollektivvertrag. „Dadurch passiert Diskriminierung: so kann ich Menschen mit gleichwertiger Arbeit unterschiedlich bezahlen“, sagte er. Hier ortete Stefan Waschmann auch Machokriterien in einigen Kollektivverträgen: Gerade auch klassische Frauendomänen wie die Pflegeberufe oder Kindergartenpädagogin würden gering entlohnt – obwohl sie hohe Verantwortung und hohe psychische Belastung bedeuten. Auch bisherige Fair Grading Systeme würden etwa Care-Arbeit nicht berücksichtigen.
Ab dem Jahr 2026 müssten laut neuer EU-Richtlinie zur Lohntransparenz vier Kriteriengruppen für alle Gehaltssysteme und wohl auch Kollektivverträge vor: Verantwortungen, Kompetenzen, Belastungen und Arbeitsbedingungen. Mit seinem Fair Grading System will Stefan klar definierte Kriterien wie Belastungs- und Stressfaktoren mit in die Vergütung aufnehmen, die bisher unberücksichtigt blieben – nämlich psychische und soziale Faktoren, noch stärker, als es die EU-Richtlinie vorsieht. „Soziale Verantwortung und psychische Belastungen wie etwa als Pflegekraft wurde bisher nicht berücksichtigt“, sagt er. Auch als Call Center Agent im Beschwerdemanagement, der mit aggressiven Anrufer*innen zu tun habe, stehe unter Dauerbelastung. Ein Faktor für psychische Belastung sei auch, unter ständiger Beobachtung zu stehen – beispielsweise Flugbegleiter*innen. Auch eine Bewertung des Impacts sei wichtig: „Etwa, welche Konsequenzen hat mein Job? Bin ich für Leib und Leben verantwortlich?“
Sinn und Sicherheit
Wenn wir Arbeit neu denken, wenn Entscheidungsmacht "von oben nach unten" delegiert wird und Mitarbeitende zu Mitgestaltenden werden, dann müssen wir nicht nur Gehalt neu denken – sondern auch damit verbundene nicht monetäre Anreizsysteme. Denn auch die werden in der Arbeitswelt zunehmend entscheidend bei Mitarbeiterbindung und im Recruiting: Sinn, flexible Arbeitszeiten, mehr Freizeit und Freiraum stehen nicht nur, aber gerade bei der jungen Generation hoch im Kurs. Das zeigt auch eine neue Studie der IMC FH Krems. Die Studie „New World of Pay“ untersuchte vor zwei Jahren die Zufriedenheit und Erwartungen der Arbeiter*innen in österreichischen Produktionsbetrieben, wie Studienleiterin Doris Berger-Grabner, akademische Leiterin des Studiengangs Unternehmensführung an der FH Krems, ausführte. Der Grund: Der psychologische Arbeitsvertrag existiere nur in den Köpfen der Arbeitnehmer*innen, aber auch Arbeitgeber - die Studie sollte ihn sichtbar machen: „Gemeint sind damit Erwartungen, die nirgends niedergeschrieben und oft leider auch nicht ausgesprochen sind. Driften diese Erwartungen stark auseinander, kommt es zu inneren Kündigungen – und irgendwann auch zu tatsächlichen Kündigungen“, führte sie aus. Die Arbeiter*innen wünschten sich demnach in erster Linie Arbeitsplatzsicherheit, Verständnis von und gute Kommunikation mit ihren Vorgesetzten. „Bei den Jüngeren war vor allem die Kommunikation im Team ein Thema. Sie erwarten sich vor allem auch ein positives Arbeitsklima und Verantwortung übernehmen zu können“, so Doris Berger-Grabner.
Fringe Benefits, wie etwa Essensgutscheine, betriebliche Gesundheitsförderung, Fitnesscenter, seien bei dieser Zielgruppe kein Thema. Weil für Yoga und Fitnesscenter gar keine Zeit sei? „Wir haben auch bei Angestellten eine Studie durchgeführt – auch hier ist etwa Yoga im Unternehmen ganz hinten gereiht“, sagte Doris Berger-Grabner. Die Arbeiter*innen wünschten sich höhere variable Gehaltsbestandteile. Die junge Generation Z würde laut einer weiteren Studie vor allem Sinn und Selbstverwirklichung im Job suchen. An der IMC FH Krems wird übrigens das Gehalt nach Lebensphasen bemessen: so erhalten Mitarbeitende mit Kinderbetreuungs- oder Pflegepflichten ein variables Entgelt obendrauf.
Klar war auch in der anschließenden Diskussion: New Pay bringt erst bei einer sinnstiftenden, guten, transparenten und offenen Unternehmenskultur etwas: ist also die Konsequenz von gelungenen New Work Maßnahmen. Und: es ist ein Work in Progress.
Den Talk gibt es nachzuhören im Podcast „Arbeit mal anders“ – überall, wo es Podcasts gibt (Links dazu siehe ganz oben).
Wer sich dazu weiter einlesen möchte: das Standardwerk „New Pay - Alternative Arbeits- und Entlohnungsmodelle“ von Nadine Nobile, Sven Franke und Stefanie Hornung ist 2019 erschienen. Im Herbst 2023 erscheint der Leitfaden für Unternehmen „New Pay Journey“ (Vorbestellung ab sofort möglich).