Recruiting-Expertin Claudia Lorber sagt Bullshit-Jobinseraten den Kampf an. Ihre Lösung gegen Arbeitskräftemangel: Die Jobs an die Bewerber*innen anpassen - und nicht umgekehrt.
Mit ihr wird Recruiting wieder einfach: Claudia Lorber könnte man als die Recruiting-"Queen" Österreichs bezeichnen. Sie berät Unternehmen zu neuen Recruiting-Strategien und Jobinseraten. Wenn es nötig ist, wird sie schon mal streng, denn sie sagt: Unternehmen sollten rasch umdenken – sonst gibt es sie bald nicht mehr. Die Expertin sprach im Panel-Talk auf der New Work Experience am 14. Juni. Wir haben sie vorab zum Interview gebeten.
Wir sind nicht nur in die Ära des Fachkräftemangels, sondern des Arbeitskräftemangels eingetreten. Schlicht: es fehlen die Menschen am Arbeitsmarkt. Österreich ist davon EU-weit am stärksten betroffen. Wie kann da Recruiting denn je wieder einfach werden?
Recruiting ist etwas, das Unternehmen jeden Tag machen müssen, nicht nur zwei Mal im Jahr. Sales marschiert immer mit Zahlen, Daten und Fakten zur Geschäftsführung, HR kommt eher soft daher. Aber Leute! Es gibt Arbeitsmarktdaten, die man auf den Tisch knallen kann, es gibt Studien zu den Kosten von unbesetzten Stellen, zu Mitarbeiterunzufriedenheit und Jobwechselwilligkeit. Hier sehe ich die Recruiter*innen in der Verantwortung, sich entsprechend zu positionieren und ihre Relevanz für das Unternehmen aufzuzeigen. Denn es sind schließlich Menschen, die für das Unternehmen Dienstleistungen erbringen und Waren produzieren. Gibt es diese Menschen nicht mehr, gibt es auch die Unternehmen bald nicht mehr .Es ist keine g‘mahte Wiesen, es gibt keine einfache Lösung. Aber: es hilft schon sehr, wenn man auf Kleinigkeiten achtet und einfach mal dort anfängt, wo es am wenigsten weh tut.
Wie hat die Pandemie aus deiner Sicht denn das Recruiting verändert? Oder anders gefragt: wie sollte das Recruiting sich angesichts des Wandels in der Arbeitswelt und Wirtschaft denn verändern?
Eines ist durch die Pandemie sehr spürbar geworden am Arbeitsmarkt – es gibt immer mehr Menschen, die ihre Jobs hinterfragen und sich überlegen: was will ich denn wirklich tun? Sie sagen nicht mehr Ja und Amen zu allem sagen, sondern hinterfragen, wie mit ihnen als Menschen umgegangen wird. Allerdings: Sinn im Job muss ich mir leisten können. Gut, ganz klischeehaft gesagt: für die Kassierin beim Supermarkt zählt immer noch, ob sie am Ende des Tages ihre Miete zahlen und ihre Kinder ernähren kann. Dennoch müssen Arbeitgeber heute mehr denn je sichtbar machen, wofür sie stehen und was sie zu bieten haben. Einfach nur ein Jobinserat zu schalten, funktioniert nicht mehr.
„Auf die Qualifikation wird immer noch viel Wert gelegt - zuviel.
Und zu wenig auf das, was die Menschen sonst so können und wollen.“
– Claudia Lorber
Mein Eindruck ist: in Zeiten von New Work sollte man die Jobs doch stärker auf die Bewerber*innen ausrichten, statt diese in Job-Schablonen zu pressen?
Definitiv. Die Recruiter*innen müssten viel stärker unterscheiden zwischen Qualifikation und Kompetenz. Wir leben in einer Zeit, in der wir uns auf so vielfältige Weise Know-how aneignen können. Bei der Herzchirurgie brauche ich natürlich ein Medizinstudium, aber in diversen anderen Bereichen – Coding, Social Media, Marketing – kann ich mir viel über Youtube-Tutorials und Online-Kurse beibringen. Auf die Qualifikation wird immer noch viel Wert gelegt - zuviel. Und zu wenig auf das, was die Menschen sonst so können und wollen.
Hinzu kommt: Derzeit gibt es die Tendenz im Recruiting, sich zu stark mit KI, digitale Prozesse und Onlinemarketing zu beschäftigen. Dabei wird meinem Gefühl nach immer öfter auf die Menschen vergessen. Doch das Allerwichtigste im Recruiting ist das Bewusstsein: wir haben es mit Menschen zu tun. Jede meiner Entscheidung im Recruiting hat eine Auswirkung auf einen Menschen. Hier sehe ich die Recruiter*innen in der Verantwortung.
Also mit der Nutzung von Social Media und digitalen Job-Plattformen ist es nicht getan?
Überhaupt nicht. Laut diversen Studien zur Candidate Experience wünschen sich die Bewerber*innen schon seit Jahren mehr Individualität im Bewerbungsprozess. Damit könnten die Unternehmen heute punkten: Beziehungen zu Talenten und potenziellen Bewerber*innen aufzubauen und zu pflegen, persönlich anzurufen und abzusagen. Mit all den standardisierten Prozessen geht das verloren.
Leider wird hier argumentiert, dass keine Zeit dafür bleibt. Dabei wäre das ein absoluter Erfolgsfaktor. Denn: heute sechs Monate lang keine Stelle zu besetzen, wird ja schon als Standard empfunden – ist aber sehr kostspielig.
Jobinserate wirken heutzutage sehr schablonenhaft: kaum ein Unternehmen, das nicht angeblich eine tolle offene innovative Kultur pflegt und die eierlegende Wollmilchsau oder den nächsten Weltretter sucht. Wo sollten sie ansetzen, um sich selbst klarer in Jobinseraten zu positionieren?
Mit dem Jobinserat entscheidet sich der weitere Verlauf – bewirbt man sich oder nicht? Muss konkreter werden, muss Auseinandersetzung mit der Aufgabe, der offenen Position sein. Und das können sowohl Führungskräfte als auch Recruiter nicht beschreiben – weil sie es einfach nicht gelernt haben. Meine konkrete Tipps dazu sind: der Titel der Position muss der sein, nach dem meine Zielgruppe im Internet sucht – und keine Fantasiekomposition wie Weltretter, Chief Magician of XY oder englisches Kauderwelsch, das niemand versteht.
Und: ich muss auf einen Blick sehen, was genau sind die Aufgaben, wo ist der Job, wieviele Stunden genau soll ich denn arbeiten – die Begriffe Vollzeit und Teilzeit sind zu ungenau. Ich spiele mit meinen Kund*innen gerne ein Bullshitbingo mit den häufigsten Begriffen. Besonders beliebt ist „offene Unternehmenskultur“. Ich frage sie dann: woran genau erkenne ich das? Da kommt oft nichts außer Schweigen. Ich bring sie dazu, konkret in das Jobinserat zu schreiben, was tatsächlich Sache ist. Die meisten haben auch nicht gelernt, zwischen ihren Anforderungen an eine eierlegende Wollmilchsau und den tatsächlich anfallenden Aufgaben zu unterscheiden. Ich hinterfrage so lange bis wir konkret wissen, was zu tun ist in dem Job. Sobald wir all das definiert und formuliert haben und das neue Jobinserat veröffentlicht ist, passiert die Magie: und die Leute bewerben sich plötzlich.
Wie siehst du die Diskrepanz zwischen den Wünschen und Bedürfnissen der BewerberInnen und dem, was ArbeitgeberInnen tatsächlich zu bieten haben? Klafft hier tatsächlich so eine große Lücke, gerade bei jungen BewerberInnen?
Ich höre von RecruiterInnen und PersonalerInnen tatsächlich häufig: die Jungen wollen ja nicht. Was mich stört: es wird ständig über die Jungen gesprochen, aber nicht mit den Jungen.
Viele junge Menschen haben erlebt, dass Eltern u Großeltern, die auf die Pension hingearbeitet haben und bei Pensionsantritt tot umfallen, oder nicht verfügbar waren, weil sie rund um die Uhr gearbeitet haben. Das soll kein Vorwurf sein. aber heutzutage gibt es nunmal andere Möglichkeiten und Voraussetzungen. Ich selbst habe für mich auch die Viertagewoche umgesetzt – das geht aber nicht von heute auf morgen, ich habe drei Jahre dafür gebraucht. Unternehmen, die nur Vollzeitmitarbeitende sagen oder die Viertagewoche komplett abwehren, sage ich: wollt ihr jemanden haben, der voll motiviert in Teilzeit oder nur vier Tage arbeitet – oder wollt ihr jemanden, der unmotiviert in Vollzeit arbeitet – oder gar eine Vollzeitstelle, die unbesetzt bleibt?
Vollzeitstellen sind kostengünstiger und einfacher zu organisieren. Ich habe kürzlich von einem ehemaligen Krankenhauschef gehört, er würde ja Teilzeit am liebsten ganz streichen, weil durch den Pflegekräftemangel ja die Leute fehlen – dabei sind sie davongelaufen, weil sie in Vollzeit einfach überlastet waren.
Von der Headcountplanung her verstehe ich es, aber die Unternehmen müssen gerade bei Vollzeit umdenken, um Leute zu bekommen. Hier geht es nicht um die Jungen, die nicht arbeiten wollen. Sie wollen anders arbeiten – und nicht nur sie. Ich habe kürzlich eine 23-Jährige getroffen, die zwei Teilzeitjobs hat, weil sie einfach beide Jobs gerne macht. Ich selbst war lange Sidepreneur und mein Arbeitgeber hat mir ermöglicht, meine Stunden zu reduzieren, damit ich mein Unternehmen aufbauen konnte. Es gibt viele Möglichkeiten, Jobs zu managen, über neue flexible Arbeitszeitmodelle wie Jobsharing auf der Plattform JobTwins. Hier können etwa ein junger Mensch und ein erfahrener als Tandem zusammengespannt werden, eine Bereicherung für beide und für das Unternehmen.
Unternehmen sollten auch viel stärker in den unterschiedlichen Lebensphasen denken: in der einen Phase arbeitet man vielleicht 50, 60 Stunden pro Woche, dann möchte man wegen Familiengründung oder Weiterbildung Stunden reduzieren. Wir brauchen diese Individualisierung von Arbeitszeitmodellen.
Du unterstützt die Unternehmen und Recruiter*innen mit deinen Workshops und Community dabei, ihre Strategien zu verbessern. Worüber musstest du zuletzt den Kopf schütteln?
Zu mir kommen Unternehmen, die schon einiges anders machen oder es machen wollen – darum macht mir mein Job auch richtig Spaß. Ich habe allerdings mal einen Workshop für RecruiterInnen gehalten, in dem es um bessere Jobinserate ging. Gegen Mittag beschwerte sich eine Teilnehmerin, dass sie kaum Bewerbungen auf offene Jobs erhalte. Und sie gab im selben Atemzug zu, dass sie alle über 50-Jährigen sofort aussortiere. Da blieb mir kurz die Spucke weg.
Wie hast du darauf reagiert?
Die anderen TeilnehmerInnen haben das auch hinterfragt. Ich meinte nur: ich bin 49, also würdest du mich auch demnächst aussortieren? Es kam dann raus, dass sie einen 50-jährigen Kollegen hatte, der ständig krank war. Das war ihr Argument: ältere Menschen sind öfter krank. Unternehmen müssen damit aufhören, BewerberInnen systematisch auszuschließen. Frauen haben hier ja grundsätzlich die Arschkarte: zuerst sind sie zu jung, weil zu unerfahren, mit fünf Jahren Berufserfahrung laufen sie Gefahr, Kinder zu kriegen. Haben sie bereits Kinder, ist das sowieso ein Problem und sind die Kinder dann erwachsen, sind die Frauen zu alt für den Job.
Wo siehst du auch Fortschritte?
Große Erfolge sehe ich bei Unternehmen, wenn HR und Marketing sich zusammentun und gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Und in den letzten zwei Jahren mir aufgefallen, dass auch immer mehr junge Leute im Recruiting nachrücken, was mich sehr freut - denn allein das ändert schon vieles.
Auf der New Work Experience, das Festival für Arbeit und Zukunft von New Work SE in Hamburg am 14. Juni, war Claudia Lorber im Panel-Talk "HR unzensiert – ein Talk über die HR-Trends, die wirklich (garantiert!) zählen" zu Gast. Dort diskutierte sie gemeinsam mit Fatoumata Diakité-Micklisch, Henrik Zaborowski, Joachim Diercks, und Cliff Lehnen die Buzzwords und Trends des Recruitings.
NWX23: Der HR-Award:
Der NEW WORK Award ist der bekannteste Preis für zukunftsweisendes Arbeiten im deutschsprachigen Raum. In diesem Jahr wurde er bereits zum 10. Mal verliehen. Hierbei wurden Menschen, Konzepte und Initiativen ausgezeichnet, die mit ihren Ideen und Impulsen, die Arbeitswelt aktiv mitgestalten und damit für die notwendige Revolution in Unternehmen sorgen.
Die Preisträger*innen des NEW WORK Award sind:
Kategorie BETTER WORK
1. Platz: Serviceplan Group SE & Co. KG für weMOVE.
2. Platz: Klinikum Aschaffenburg-Alzenau für Meine Station – Pilotprojekt für selbstorganisierte Zusammenarbeit auf einer allgemeinchirurgischen Station
3. Platz: AUDI AG für Mobil & vor Ort - Hybrides Zusammenarbeiten bei Audi
Kategorie NEW BUSINESS
1. Platz: vereinbar 3.0 e.V. für #CoworkingChildcare
2. Platz: FLEXPOOL für Klinikum Bad Hersfeld GmbH
3. Platz: Open Grid Europe GmbH für TransforMATE Energy
Kategorie NEW SOCIETY
1. Platz: Die Plattform mit genossenschaftlichem Ansatz SMartDe eG
2. Platz: Frederik Fischer von Neulandia mit dem Konzept für Wohnen und Arbeiten im ländlichen Raum
3. Platz: Dirk Sager für seine Initiative für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflegebranche
Hier geht's zum Programm der NWX24: https://nwx.new-work.se/nwx24