Arbeiten, wo andere urlauben? Das ist für digitale Nomaden ganz normal. Robert Bichler baut sein Online-Business in Panama auf. Von Birgit Gehrke

Ein fixes Angestellten-Verhältnis, ein monatliches Einkommen und ein geregeltes Job-Leben. So sieht der Arbeitsalltag in vielen Fällen aus. Während die einen Home Office als kontraproduktiv betrachten, sehnen sich doch viele nach mehr Freiheit und Flexibilität. Die wenigen Wochen Urlaub im Jahr reichen nicht aus, um die Welt zu sehen und bereisen. Wie man es eigentlich möchte.
Doch der Schritt, den fixen Job zu kündigen, die Wohnung aufzulösen und Freunde und Familie hinter sich zu lassen, scheint doch zu schwer.
All das hat der Österreicher Robert Bichler bereits gewagt. Seit Jahren lebt und arbeitet er in der Ferne – aktuell in Panama. Wenn ihm ein Ort nicht mehr gefällt, geht es weiter. Er arbeitet immer – und gleichzeitig nie.
Balance der Extreme
„Ich habe viele Jahre an Universitäten gearbeitet und dort ist orts- und zeitunabhängiges Arbeiten nichts prinzipiell Neues. In den Jahren 2006 und 2007 habe ich ausgedehnte Forschungsreisen in Asien, Afrika und Zentralamerika unternommen und begonnen, Artikel und Forschungsberichte gleich unterwegs zu verfassen. Internetcafes und erste WiFis machten das damals möglich und die Idee überall arbeiten zu können, hat mich seitdem nicht mehr losgelassen“, erzählt Bichler.
Als einen der gravierendsten Nachteile dieses freien Jobbens sieht er die Freiheit, die gleichzeitig auch der wesentliche Vorteil ist. Bichler: „Als Digitaler Nomade kann man jederzeit und egal wo arbeiten. Das erfordert allerdings auch sehr viel Disziplin. Man hat eben niemanden, der oder die einem sagt was, wann, wo zu tun ist und wann man Freizeit hat.“ Einerseits könne dies zu geringer Arbeitsmotivation führen. Anderseits könne die Arbeit dadurch auch zum alleinigen Lebensinhalt werden. „Dies trifft wahrscheinlich auf alle Selbstständigen zu – bei den Digitalen NomadInnen kommen noch mehr externe Ablenkungen dazu, beispielsweise die viel zitierten Sandstrände, und Arbeitsbereiche wie das Social Media Management. Meines Erachtens besteht die größte Herausforderung darin, eine gewisse Balance zwischen diesen beiden Extremen zu finden.“
Was bleibt – das Leben muss finanziert werden, egal wo man lebt. Freie Jobs werden etwa auf der Plattform www.dnxjobs.com angeboten. Generell eignen sich alle Tätigkeiten, für die man nicht physisch an einem Ort anwesend sein muss. Bichler: „Sehr beliebt ist das Erstellen von virtuellen Gütern und Dienstleistungen", sagt er. Beispiele wären Blogs, das Erstellen und der Verkauf von Informationsprodukten – etwa eBooks, eKurse, – oder auch Online-Consulting und Freelance-Tätigkeiten wie Webdesign, Übersetzungen und Social Media Betreuung. "Einige Digitale NomadInnen haben sich auch auf den Online-Handel spezialisiert und verdienen Geld über Affiliate-Marketing, FBA (Fulfillment by Amazon) oder Drop-Shipping. Der letzte Schrei ist die Organisation von Online-Kongressen“, sagt der 37-Jährige.
Bichler selbst lebt unter anderem von den Einnahmen durch seinen Blog (www.deepertravel.de) sowie dem Verkauf von Informations-produkten. „Den Hauptanteil machen aber andere Tätigkeiten aus. So koordiniere ich in Nicaragua ein Projekt der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit, bin Gesellschafter eines kleinen Reiseunternehmens (Loro Trips) und halte Vorträge, Workshops und Lehrveranstaltungen zu den Themen Kommunikation und Entwicklung, Tourismus, Social Media sowie nachhaltige Entwicklung. Grundvoraussetzung für alle diese Tätigkeiten ist eine halbwegs stabile Internetverbindung. Diese Notwendigkeit eint wahrscheinlich auch alle Digitale NomadInnen.“
Will man als Digitaler Nomade erfolgreich sein, ist eine gute Vernetzung essenziell. Bichler dazu: „Die Idee‚ ich möchte jetzt sofort Digitale NomadIn werden’ funktioniert meines Erachtens nicht. Man kann sich zwar als FreelancerIn auf diversen Online-Plattformen (z.B. Freelance.com) verdingen, dies gleicht allerdings oft moderner, virtueller Sklavenarbeit und ist sicher kein nachhaltiges Geschäftsmodell, von dem man langfristig leben kann.“
Trotz all der Schwierigkeiten – wird das ortsunabhängige Arbeiten die Arbeitsform der Zukunft? „In Reinform eher nicht. Vielmehr erleben wir eine
Flexibilisierung der Arbeit, bei welcher der Arbeitnehmer an einen fixen Arbeitsplatz gebunden bleibt und darüber hinaus noch in den eigenen vier Wänden arbeitet bzw. arbeiten muss. Dieses Phänomen wird in der Soziologie als ‚Entgrenzung der Arbeit’ bezeichnet. Man wird also in Zukunft vermehrt Komponenten des Digitalen Nomadentums in klassischen Arbeitssettings vorfinden – allerdings vornehmlich die negativen Aspekte“, ist Bichler der Meinung.
Unterwegs ist er übrigens nicht immer. Meist bleibt er Wochen, oft auch Monate an einem Ort. Das sei einerseits wichtig, um die Menschen und die Kultur einer Region kennenzulernen, anderseits auch, um eine Arbeitsroutine zu entwickeln – Stichwort Setup einer guten Internetverbindung.
Einsamkeit während der Reisen ist für Bichler kein Thema: „Ich kenne aber Digitale Nomaden, die damit zu kämpfen haben. Nicht umsonst entstehen von Chiang Mai (Thailand) bis Medellín (Kolumbien) so genannte Hot-Spots für Digitale NomadInnen.“
Bevorzugt reist Bichler während der kälteren Jahreszeit in wärmere Gefilde. Die Sommermonate verbringt er gerne in Europa, auch viel in Österreich. Bei all den Eindrücken – welches war der bisher schönste Ort, den er dank dem flexiblen Job gesehen hat? „Normalerweise ist für mich der schönste Ort der, an dem ich mich gerade befinde. Generell stehen bei mir Nicaragua und Südafrika sehr hoch im Kurs. Spanien und China gehören zu meinen Evergreens.“
Abschließend die Frage: Gibt es Neider? „Ich würde nicht von Neidern sprechen – eher hat es wohl mit Unwissenheit bzw. Unverständnis zu tun. Die klassische Frage dahingehend lautet: ‚Was?! Und davon kann man leben?!‘“
Von Birgit Gehrke