Der Social Entrepreneur hatte eine Karriere im Silicon Valley vor sich, als er sich dafür entschied, sein Leben dem Geben zu widmen. Der Verfechter der Gift Economy sagt: Geben ist die Währung für mehr Erfüllung - auch im Job.
Wir sind um die 50 Menschen, die gerade andächtig in einem großen Kreis auf dem Marmorboden einer burgenländischen James-Bond-Villa Platz genommen haben. Eingeladen zum Laddership DreamA Circle haben Harald Katzenschläger und Hermann Gams von DreamAcademia, einem Accelerator für Social Entrepreneurs, Innovatoren und Changemakers. Die Stimmung ist gelöst, aber auch andächtig feierlich. Alle hier sind aus einem Grund hier: sie wollen etwas in der Welt verändern.
Einer von ihnen ist der Stargast dieses Tags: Nipun Mehta aus Indien, er lächelt ununterbrochen, verteilt free hugs an Menschen, die er mal besser, mal gar nicht kennt, er trägt sein Herz auf der Zunge. Nipun Mehta macht das Geben zum Geschenk. Der Begründer des "Giftivism" (einer Wortmischung aus gift=Geschenk und Activism) und Gründer von Service Space, einem Inkubator und einer weltweiten Bewegung für Generosität und Freiwilligenarbeit, ist international unterwegs. Er ist hier, um alles zu geben, was er hat: eine neue Einstellung zum Kapital, die Vision einer Wirtschaft, in der Großzügigkeit, Dankbarkeit und die Orientierung am Gemeinwohl für einen gesellschaftlichen Wandel sorgt. Nipun Mehtas Worte sind kein idealistisches Blabla: Seine Plattform Service Space ist eine Drehscheibe und Accelerator für Projekte mit weltweit rund 500.000 Freiwilligen. Service Space veranstaltet auch Awakening Circles, Meditationsabende, und die Laddership Circles, Workshops für Führungskräfte und Entrepreneure. Nipun hat die SmileCard für mehr Gebensfreude in Unternehmen ins Leben gerufen, hat die Restaurantkette KarmaKitchen und DailyGood, ein Portal für positive News, gegründet. Mit seiner visionären Haltung und seinem wirkungsvollen Tun war Nipun Mehta im Jahr 2015 sogar von Barack Obama in dessen Beraterstab zu Armut und Ungleichheit berufen worden.
Im Interview mit New Work Stories erzählt er über seinen Weg und seinen Weg von der angestrebten Silicon Valley zu einem Dienenden der Menschen, der Unternehmen dazu inspiriert, viele Formen des Kapitals zu nutzen.
New Work Stories: Du hast in Berkeley studiert, hattest eine Karriere im Silicon Valley vor dir. Heute propagierst du die Gift Economy, das Geben als Basis für sinnvolles Wirtschaften. Wie hast du damals diesen Weg eingeschlagen?
Nipun Mehta: Ich bin im Silicon Valley quasi aufgewachsen. Ich hab in Berkeley Computer Sciences and Philosophy studiert, und habe den Höhepunkt der DotCom-Bewegung miterlebt. Die Geschichten rund um mich handelten von Leuten, die sehr schnell sehr viel Geld mit ihren Startups gemacht haben. Überall war Enthusiasmus, Kreativität und auch Purpose zu spüren. Aber ich hatte trotzdem das Gefühl, dass es für mich in eine Sackgasse geht.
Warum?
Diese unaufhörliche Gier als Motivationstreiber für Innovation und unternehmerisches Tun erschien mir irgendwie hohl. Ich wollte eine höhere Kraft als Motivation. Ich war nicht sicher was das sein sollte, aber ich wollte das herausfinden und mein Leben dem widmen. Anstatt immer mehr Kapital anzuhäufen und dann damit etwas Gutes anzustellen dachte ich: warum nicht einfach in den Flow gehen und selbst die Veränderung entlang des Weges sein? Ich begann, viele Menschen zu interviewen. Ich wollte herausfinden: wenn du viel hast, bist du dann automatisch glücklicher? Ich fand heraus, dass Glücklichsein nicht mit Besitz zusammenhängt. Ich hatte im Kern meines Seins den Verdacht, dass es nicht ums Haben und Nehmen geht, sondern ums Geben.
In deiner Jugend bist du viel herumgereist. Hat dich das geprägt?
Das war eher ein Prozess. Du wirst nicht über Nacht zwei Meter größer. Ich hatte immer diese Prägung, anderen helfen zu wollen. Im Alter von 17 begann vermutlich meine innere Reise bewusster. Ich erforschte viel, ich habe viel ehrenamtlich gearbeitet, mit 18 habe ich in der Sterbebegleitung gearbeitet. Das macht etwas mit dir. Du hilfst diesen Menschen, freundest dich mit ihnen an und zwei Wochen später sind sie tot. Dann erkennst du: alles in der Welt ist vergänglich. Ich dachte mir, wenn das so ist, wie komme ich in meine Stärke: durch das Durchhalten oder indem ich die Welle einfach reite? Und wenn Zweiteres stimmt, wie lerne ich, die Welle zu reiten? Für mich wurde das Dienen der Weg, um weg von diesem Anhäufungs-Mindset in den Flow zu kommen.
Gab es da einen Moment, der dich dazu gebracht hat: ich will anderen etwas geben?
Ich war immer glücklich, anderen etwas zu geben. Aber ich hatte auch dramatische Momente der Erkenntnis. Ich war in High School und auf dem Weg nach Hause, da sah ich einen Mann auf der Straße humpeln. Ich dachte plötzlich: ich wünschte, ich könnte ihm meine Beine geben. Das machte rational erstmal keinen Sinn, und ich war immer ein intellektueller Mensch. Er humpelte und versuchte den Bus zu kriegen. Ich setzte mich hin, schloss meine Augen und wünschte ihm einfach Kraft. Das war außerhalb meiner Norm, nicht mal ich verstand, was ich da machte. Es war einfach eine Sehnsucht, mich zu verbinden und ihm zu dienen. Ich empfand einen Moment einer großen Verbindung. Die Grenze zwischen dir und dem anderen beginnt sich aufzulösen. Auch später habe ich gemerkt: wenn ich dem anderen etwas gebe, das sie glücklich macht, macht es auch mich glücklich. Ich begann das immer mehr und mehr durch andere Erfahrungen zu spüren. Immer wenn ich ehrenamtlich arbeitete dachte ich nicht, ich habe dem anderen geholfen, sondern: wow, ich bekomme vom anderen für meine bescheidene Hilfe so viel zurück. Ich dachte mir, danke dir für die Gelegenheit, etwas zu geben. Oft wissen wir nur nicht, wie wir anderen helfen können.
Du hast Wirtschaft studiert und plantest als junger Mann eine Karriere im Silicon Valley.
Dort ging es darum, die große Kohle zu machen. Ich hatte all das vor der Nase: Geld, Karriere, eine tolle Wohnung. Aber da war dieser Ruf, anderen Menschen zu dienen. Wir haben dann ein paar Leute zusammengebracht und eine Webseite für ein Obdachlosenheim pro bono gemacht. Von Tag eins hat uns eine innere Transformation angetrieben. Wir wollten kein Geld, keine Marke, gar nichts. Das hat Spaß gemacht und ich wollte diese Form des Gebens zu meiner Maxime machen. Also habe ich beschlossen, meinen damaligen super bezahlten Job hinzuschmeißen und anderen zu dienen. Meine Eltern dachten, ich sei verrückt. Ich hatte einfach diesen Ruf, anderen zu dienen.
Daraus ist Service Space entstanden, mit mehr als 500.000 Freiwilligen weltweit. Wie konnte das so groß werden?
Das ist die Macht der Liebe. Wir wachsen doch auch im Bauch unserer Mütter heran, das ist die Natur. Wir sind miteinander verbunden. Wenn wir mit unserem Ego und unseren Plänen aus dem Weg gehen, kann vieles durch uns fließen. Wenn ich anderen diene, komme ich vom Ich zum Wir. Dann brauch ich keinen Zwang mehr, um prosozial und kooperativ zu sein.
Für mich ist Geld wie Zahnpasta. Ich sitze nicht den ganzen Tag herum und denke:
oh mein Gott, wo krieg ich meine nächste Zahnpasta her?
Wie ist deine Haltung zu Geld? Wie zahlst du deine Miete?
Es geht nicht darum, rauszufinden, wie man seine Rechnungen verdient. Für mich ist Geld wie Zahnpasta. Ich sitze nicht den ganzen Tag herum und denke: oh mein Gott, wo krieg ich meine nächste Zahnpasta her? Es ist da, du lässt es da sein, aber du bist nicht besessen davon. Das ist ein kleiner Bestandteil des Tages, aber nicht der Kern. Mein Kern des Tages ist Service. Mir geht es darum, wie kann ich etwas beitragen?
Ein Baum, der gut verwurzelt ist, er gibt seine Früchte der Gemeinschaft. Und er wird immer wieder gegossen werden. Manchmal kommt unerwartet Regen, was Gnade ist. Über die Zeit baust du Großzügigkeit auf und du kriegst vieles zurück. Wenn ich dir tausend Äpfel gebe, was machst du damit? Du wirst sie nicht essen können, du kannst sie weitergeben.
Was denkst du über Spenden oder Stiftungen wie jene von Bill Gates, die soziale Projekte unterstützt?
Du kannst mit Geld oder mit einer Stiftung Impact in der Welt kreieren, aber noch keine Transformation. Es gibt drei Ebenen von sozialem Change: Awareness, Impact und Transformation. Angenommen du bist Raucher. Awareness bedeutet: ich weise dich darauf hin, dass Rauchen schädlich für deine Lungen ist. Impact bedeutet, ich gebe dir ein Nikotinpflaster. Transformation ist, wo du wirklich dein Verlangen überwindest und dein Verhalten veränderst. Awareness und Impact sind hilfreich, aber Transformation wird tatsächlich das Verhalten verändern – auf individueller und gesellschaftlicher Ebene. Mutter Theresa und Gandhi - echte Helden des sozialen Change – haben Impact kreiert, aber mit innerer Transformation geführt.
Das klingt so radikal. Heißt mit der inneren Transformation hätten wir wohl diese Form des Kapitalismus nicht mehr?
Ich hab keine Ahnung, welchen Ismus wir dann hätten. Wir wären wahrscheinlich einfach nur Menschen. Um ein System, sei es Kapitalismus, Kommunismus, zu etablieren, brauchst du eine gewisse Form von Zwang. Die Frage ist: Wie können wir erkennen, dass wir als Menschen miteinander verbunden sind? Dass nicht der rechte gegen den linken Arm kämpft, sondern dass wir erkennen, dass wir mit dem gesamten Körper identifiziert sind? Wenn wir in die Menschlichkeit kommen, brauchen wir keinen Zwang mehr. Die Frage ist, wie können wir diese Wolken in den Köpfen entfernen? Ich habe diese Wolken zumindest teilweise über das Dienen am Menschen entfernt. Ich habe dadurch erkannt: Mein Glücklichsein entsteht durch das Glücklichsein von anderen.
Aber wie funktioniert die Gift Economy tatsächlich auf Ebene der Organisationen?
Adam Grant an einer Business School ist ein berühmter Autor. Er sagt: es gibt drei Arten von Menschen: die Gebenden, die nur geben, die Nehmer, die nur nehmen, und die Matchers, die alles tun. Er hat Forschung betrieben, er erwartete, dass die Geber unten auf der Erfolgspyramide machen. Das stimmte nicht, sie waren ganz oben. Wenn ein Geber erfolgreich ist, sind es alle rund um ihn herum. Wenn ein Nehmer Erfolg hat, dann auf Kosten von anderen. Grant erkannte in seiner Forschung zu Leadership, dass Geber viel größere Vorteile hatten als die Nehmer. Die Frage ist, wie etablieren wir eine Geberkultur? Es wird in jedem Ecosystem stets einige Geber, einige Matcher und einige Nehmer geben. Spannend ist: gibt es in einer Gruppe einen, der kontinuierlich gibt, dann verändert sich das Verhalten der Matcher: sie werden auch zum Geber. Damit erhöht sich das Vertrauen in der Gruppe immer weiter und dadurch geht die Produktivität durch die Decke. Alles was es braucht ist also einen konsistenten Geber, der eine Geberkultur etablieren will. Das funktioniert ebenso in der Familie oder in Zweierbeziehungen. Und es funktioniert auch für Ecosysteme. Es gibt natürlich einige förderliche Dinge in Unternehmen auf systemischer Ebene.
Die da wären?
Zu erkennen, dass Kapital immer multidimensional ist. Es gibt verschiedene Formen von Kapital: wir wissen viel über das finanzielle Kapital, es gibt aber auch das kulturelle Kapital, das Zeitkapital, das Aufmerksamkeitskapital, das Gemeinschaftskapital. Die Frage ist: Wie können wir im Unternehmen zu all diesen Formen beitragen? Wenn du zum Beispiel gut schreiben kannst, geht es nicht nur darum, dass du diesen Teil beiträgst. Sondern wie können wir unsere Gruppen als lebende Organismen sehen, wo die einzelnen Mitglieder nicht einfach so gegen andere ausgetauscht werden können. Also es so zu sehen: du trägst auf vielfältige Art zur Gruppe bei, inklusive dem Schreiben. Du musst nur die Stärken der Menschen sichtbar machen.
Was braucht es in den Unternehmen dazu? Es geht viel um unser Menschenbild. Wie können wir das auf dem Executive-Ebene verändern?
Ich habe einen sehr guten Freund, der 5000 Menschen als Führungskraft unter sich hat. Eines Tages wurde bei seinem neugeborenen Sohn Autismus diagnostiziert. Er sagte, er ging einfach ins Badezimmer und weinte drauflos. Am Ende hat er für eines seiner Projekte fünf Menschen mit Autismus eingestellt. Er hatte sich mit ihnen beschäftigt, ihre Stärken erkannt und sie in die Arbeit integriert. Daraus wurde eine Harvard Fallstudie und irgendwann kam der CEO von SAP zu ihm, der verkündete, dass bis 2020 ein Prozent der Belegschaft weltweit aus Autisten sein soll. Es geht auch darum, auch auf Gruppen von Menschen zu schauen und sie als lebendes System zu sehen. Man kann sehr kreativ werden, wenn man ein inklusives Herz hat. Du kannst nur dann die Ganzheit im anderen sehen, wenn du sie in dir selbst siehst. Und du kannst nur selbst die Veränderung sein. Im Grunde designen wir selbst, wer wir sind.
Du sagst, dass Großzügigkeit und Mitgefühl essenzielle Teile des Menschseins sind. Man könnte ja meinen, das trifft nicht so recht auf die westliche Welt zu. Wie kriegen wir es das wieder hin?
Forschung zeigt, dass wir alle als Kinder Mitgefühl hatten. Kinder wollen anderen helfen, wenn sie sehen, dass jemand in Gefahr ist. Wir müssen es nicht lernen, wir brauchen keine zehn Schritte für mehr Mitgefühl. Die gesellschaftliche Konditionierung hat es nur verdrängt. Da gibt es nichts zu lernen, wir müssen es nur wiederentdecken. Es gibt tonnenweise Forschung dazu. Wenn wir uns verbunden fühlen, sind wir resilienter. Auch die Hirnforschung zeigt, dass Geben positiv auf uns wirkt. Der Harvard-Forscher Michael Dalton hat entdeckt: wenn du die Wahl hast, Geld für dich selbst auszugeben oder es zu verschenken, fühlst du dich glücklicher, wenn du es weitergibst – auch wenn du anfangs skeptisch warst. Für Führungskräfte stellt sich die Frage: wie kann ich meine Ziele erreichen und gleichzeitig diese Werte an meine Mitarbeiter bringen.
Welche Unternehmen kennst du, die das bereits umsetzen? Und vor allem wie?
Viele. Es gibt zum Beispiel ein Startup, das unsere Kindness-Challenge umgesetzt hat. Oder andere verwenden unser Smile-Kartenspiel. Jedes Mal nach einem Meeting zieht jeder Mitarbeiter eine Karte und setzt eine Kindness-Aufgabe um. Ich glaube, das Verlangen und die Intention ist schon lange in Unternehmen vorhanden, eine Kultur der Wertschätzung und des Respekts umzusetzen. Aber die Frage ist, wie bringt man diese Werte zu den Kernwerten des Unternehmens? Aber jeder möchte in einer freundlicheren Welt leben. Die Herausforderung ist, wie man all dies in ein System bringt, hinter dem Stakeholder mit anderen Prioritäten stehen. Das ist eine Einladung an die Kreativität der Führungskräfte, hier Lösungen zu finden. Ein Freund von mir arbeitet für einen Investmentfonds, zu ihm kommen Startups, die ihre Ideen pitchen. Er muss zu 99 Prozent der Leute nein sagen. Das kann man sehr rüde und fies tun. Er hat sich überlegt, es auf die nette, respektvolle Art zu tun. Das honorieren die Leute. Man muss einfach klar sagen: diese Werte sind nicht verhandelbar. Dann finden die Menschen einen Weg, sie umzusetzen.
Der Dalai Lama hat gesagt: Sei egoistisch: sei großzügig.
Was ist deine Vision für die Zukunft?
Unsere Idee der letzten Jahre ist Laddership hat uns sehr beschäftigt. Das klassische Leadership mit der Ausrichtung von Command und Control passt nicht mehr zu den lebenden Netzwerken, in denen verschiedene Teile zusammenwirken. Mit Laddership geht es nicht mehr darum, einen fünfjährigen Plan umzusetzen, sondern du probierst Neues aus, adaptierst es und hilfst anderen dabei, in ihre Stärke zu kommen. Und du siehst, wie diese Beziehungen das Ecosystem verändern. Ein kleines gemeinsames Mittagessen kann einen Dominoeffekt erzeugen. Jeder spielt eine Rolle und trägt etwas zum Großen bei. Es geht nicht um ein Netzwerk des Profits und des Protests, sondern um eines der Liebe, die natürliches Wachstum innehat. Und ich habe es selbst erfahren: Du benötigst kein Marketing mehr, wenn dein Mitgefühl die Menschen glücklich macht.