Diese Frage ist der Kern von "New Work" und essentiell, wenn Menschen ihre intrinsische Motivation und ihre Potenziale ins Unternehmen einbringen sollen.
Home Office und Corona-Krise: Diese neue Ausnahmesituation, die wohl mehr verändern wird als so manchen lieb ist, zeigt nicht nur, dass wir trotz physical distancing näher zusammenrücken müssen. Sie zeigt auch: Was, wie, wann, wofür und für wen wir arbeiten, wirkt sich massiv auf uns, unsere Motivation und unsere Produktivität aus.
Eine Umfrage der Plattform karriere.at unter österreichischen Arbeitnehmern vom Juni 2020 hat ergeben: 62 Prozent können sich mehr oder weniger einen Jobwechsel vorstellen, ein höheres Gehalt spielt für sie im Vergleich zu 2019 (77 Prozent) mit 54 Prozent eine weit geringere Rolle. 23 Prozent erhoffen sich mit einem neuen Job interessantere Aufgaben und je 22 Prozent eine bessere Unternehmenskultur oder bessere Work-Life-Balance. Daraus lässt sich erkennen: in der Krise ist den Menschen trotz der Krise klar geworden, dass es nicht nur ums Geld geht - sondern auch um Sinn, Selbstverwirklichung und eine konstruktive Unternehmenskultur. "Menschliche" Faktoren gewinnen in der Krise an Relevanz.
Bei Unternehmen scheint sich diese Dringlichkeit teilweise noch nicht rumgesprochen zu haben. "New Work" fokussiert heute noch zu stark auf Arbeitsprozesse und Strukturen - auf die Abschaffung von Hierarchien und die Agilisierung der Arbeitsweisen. Was häufig kein Thema ist: was die Mitarbeiter tatsächlich wollen und könn(t)en, wenn man sie ließe. Wie, was und wofür sie arbeiten wollen.
Die Auseinandersetzung mit den eigenen Stärken, mit eigenen Glaubenssätzen und Interessen, mit den eigenen Arbeitsweisen abseits struktureller Prozesse und Tools ist die Basis für gelungene Veränderung im Unternehmen. Potenzialentfaltung sollte auf der Agenda von Führungskräften ganz oben stehen. Was, wie, wann und wofür wir arbeiten, spielt eine zunehmend wichtige Rolle, um Talente anzuziehen und zu halten und Innovation in den Unternehmen wirkungsvoll voranzutreiben. Das sehe ich auch in meinen "Arbeit mal anders"-Workshops: hier setzen sich Menschen oft erstmals nach vielen Jahren in mehr oder minder frustrierenden Jobs damit auseinander, was sie - frei nach New Work Begründer Frithjof Bergmann - "wirklich, wirklich wollen", was sie antreibt, wann sie Flow im Tun erleben und wie sie ihre Stärken, Interessen und ihre Motivation mit Arbeit im weitesten Sinne in Einklang bringen. Auch die Studie "Ruf nach Freiheit" von Hays, der ZukunftsAllianz Arbeit & Gesellschaft und der Gesellschaft für Wissensmanagement aus dem Jahr 2016 verweist darauf, dass Innovation bei den Mitarbeitern selbst ansetzen muss.  Zwei Drittel der Befragten wünschen sich mehr Freiheit und Souveränität bei ihrer Arbeit. Drei Viertel (76 Prozent) würden ihr Engagement erhöhen, wenn sie über neue Produkte mitentscheiden dürften. 80 Prozent sind überzeugt, dass sie produktiver wären, wenn sie bei firmenrelevanten Entscheidungen mitreden dürften. Solche Umfragen braucht es auch in den Unternehmen zur Initiation von Veränderung (nicht als Schubladeninhalt).
Mensch im Mittelpunkt
Unternehmen sollten die Mitarbeiterentwicklung auf ein neues Level heben, abseits von vereinzelten Trainings und nicht nur orientiert an ihren Bedarfen und jenen der Rollen und Positionen - sondern eben am Menschen selbst. Dazu braucht es offene, vertrauensvolle Unternehmenskulturen, in denen Weiterentwicklung und auch Spiralkarrieren mit Wechsel in andere Bereiche ermöglicht werden und Mitarbeiter auch auf Eigeninitiative relevante Projekte, die sie begeistern, initiieren dürfen. Ansätze wie Job Crafting zielen auf die bewusste Verknüpfung von Stärken, Interessen und Aufgaben der Mitarbeiter ab. Das Konzept stammt von den Forschern Justin Berg (Stanford Graduate School of Business), Amy Wrzesniewski (Yale School of Management) und Jane Dutton (Michigan’s Ross School of Business). In ihrem Arbeitsbuch "Job Crafting Exercise" und in Workshops erfahren Erwerbstätige, wie sie ihren Job an ihre Fähigkeiten, Talente und Interessen anpassen können.
Konkret geht es um drei Ebenen der Veränderung:
1. Task Crafting: die täglichen Aufgaben und Arbeitsstrukturen werden verändert, etwa hin zu mehr Entscheidungsfreiheit
2. Relational Crafting: mit wem man wie, wann und wo zusammenarbeitet, wird reflektiert und bei Bedarf so verändert, dass alle zufriedener sind
3. Cognitive Crafting: Die Einstellung zur Arbeit und die Zusammenarbeit mit anderen werden hinterfragt; neue Herausforderungen ergeben sich durch die Mitarbeit in neuen Projekten.
Oft wissen Führungskräfte gar nicht, welches Potenzial und welche zusätzlichen Fähigkeiten in ihren Mitarbeitern schlummern. Der eine spricht fließend Türkisch, die andere hat eine Coaching-Ausbildung, der dritte ist ein Kommunikationstalent. Was, wenn die Marketing-Managerin, die stets über Konzepten brütet, aber viel lieber Kontakt mit Menschen hätte, nebenbei mit Kunden Interviews zur Marktanalyse führt? Was, wenn der als oberlehrerhaft geltende IT-Techniker, der tatsächlich einst Lehrer werden wollte, die Software-Einschulungen für die neuen Mitarbeiter übernimmt, anstatt des überteuerten, externen Trainers? Job Crafting und ähnliche Ansätze könnten die Basis zur Teamentwicklung mit Fokus auf den Menschen sein. Dann wäre es nicht mehr nötig, Mitarbeiter zu "motivieren", "binden" oder "halten" - sie würden in ihrem Job aufblühen, in der Regel gern Verantwortung übernehmen und freiwillig bleiben.
Dieser Beitrag ist im Rahmen der Xing-Insider-Themensammlung "Wie messbar ist New Work?" erschienen. Hier geht's zu den Beiträgen.