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Literaturszene: „Wir brauchen mehr unternehmerisches Denken“

Autor: Nicole Thurn
Datum: 15.03.2021
Lesezeit: 
5 Minuten

Die Autorin und Literaturwissenschaftlerin Barbara E. Seidl hat im ersten Lockdown die Literatur-Plattform Litrobona gegründet. Im Interview erzählt sie, warum jetzt die Zeit für digitale Geschäftsmodelle im Literaturbetrieb ist.

Vor genau einem Jahr hat die Literaturwissenschaftlerin und Autorin Barbara E. Seidl  im ersten Lockdown Litrobona.com gegründet: die erste digitale Plattform für die Literaturszene in und aus Österreich, auf der sie Interviews, Porträts mit Autor*innen und Persönlichkeiten aus dem Literaturbetrieb und mit ihrem Podcast "Das Litrophon" sichtbar macht.  Im Interview erzählt Barbara E. Seidl, wie die coronabedingte Digitalisierung sich auf den Literaturbetrieb ausgewirkt hat.

Newworkstories.com: Du hast die Plattform Litrobona während des ersten Lockdowns gegründet. Wie kam es dazu?

Barbara E. Seidl: Ich wollte schon länger etwas für die österreichische Literatur tun, habe auch überlegt, einen Verlag oder ein Festival zu gründen. Dann kam Corona und damit der erste Lockdown. Überall ist Panik ausgebrochen, auch im Literaturbereich, viele Lesungen wurden gestrichen, Buchhandlungen mussten schließen. Ich habe quasi über Nacht beschlossen, die Plattform ins Leben zu rufen - inspiriert war ich auch von Nunu Kallers bekannter Shopliste. Die Idee war zunächst, eine Plattform zu gründen, auf der die vielen Online-Events des Literaturbereichs zusammengefasst werden, damit Interessierte nicht die einzelnen Webseiten abgrasen müssen. Dazu kam dann schließlich so etwas wie ein multimediales Magazin.

Was unterscheidet Litrobona von Online-Literaturmagazinen?

Mir persönlich ist wichtig, die vielen Facetten der Literatur aufzuzeigen: auch Randthemen wie Mehrsprachigkeit, oder digitale Literatur über Veranstalter*innen bis hin zu Literaturwissenschaftler*innen, Verlagen und Literaturhäusern. Ich lasse viele Stimmen zu Wort kommen - auch jene von Autor*innen, die selbst publizieren, Die Plattform ist unabhängig auf der Metaebene angesiedelt - ich interviewe zum Beispiel auch andere Podcaster*innen.

Wie hat der Literaturbetrieb auf deine Plattform reagiert?

Ich habe rasch Kontakte zu den Literaturhäusern, Verlagen und Autor*innen geknüpft und von Beginn an viel positives Feedback und Unterstützung bekommen. Die Bereitschaft zu Interviews war groß, ich habe viele interessante Persönlichkeiten kennengelernt. Ich fand es toll, wie gut die Literaturszene über Social Media vernetzt ist. Ich hatte ja anfangs keinen Zugang, kannte niemanden. Mich hat positiv überrascht, dass ich von Anfang an akzeptiert und anerkannt wurde.

Was möchtest du mit Litrobona bewirken?

Die Plattform ist prinzipiell als work in progress anzusehen. Da ich so schnell mit nur einem Basis-Konzept gestartet bin, entwickelt sich Litrobona stets weiter. Dabei konzentriere ich mich ausschließlich auf Literatur aus und in Österreich. In großen deutschsprachigen Tageszeitungen werden größtenteils Bücher aus dem englischsprachigen Raum besprochen – ich glaube es sind rund zwei Drittel. Also bleibt nur ein Drittel deutschsprachige Literatur übrig, von der auch nur ein kleinerer Anteil aus Österreich kommt. Hier wollte ich zeigen, was sich in Österreich tut, gleichzeitig aber nicht die Autor*innensprache eingrenzen. Schließlich möchte ich mit der Plattform auch einen Anstoß zum Diskurs geben, was österreichische Literatur sein kann und hier auch den Blick öffnen: indem ich etwa auch mehrsprachige Autor*innen porträtiere – oder auch solche, die in Österreich geboren sind, aber nicht mehr hier leben – sprich, die Diversität betone. Auch in meiner literaturwissenschaftlichen Forschung setze ich mich stark mit mehrsprachiger Literatur auseinander. Und ich selbst schreibe Kurzgeschichten in englischer Sprache. Die reine Einsprachigkeit entspricht schlicht nicht mehr unserem Lebensalltag.

Wie skizzierst du den Nachwuchs der österreichischen Literaturszene?

Ich möchte mit dem Begriff Nachwuchs vorsichtig sein, weil man sich automatisch jüngere Autor*innen vorstellt – die tendenziell auch eher gefördert werden. In letzter Zeit gibt es die Diskussion, dass ältere Autor*innen, die erst später mit dem Schreiben beginnen, bei Förderungen und Stipendien stärker benachteiligt sind. Dabei gibt es erfolgreiche Autor*innen im späteren Lebensalter. Ein Beispiel ist Monika Helfer, die im Alter von 72 Jahren mit ihrem Buch "Die Bagage" vergangenes Jahr ihren Durchbruch hatte. Es gibt inzwischen einige Initiativen, die sich hier stark machen, zum Beispiel für Themen wie Autor*innen und Elternschaft oder ältere Autor*innen. Ein Problem ist, dass ein Großteil der Stipendien als mehrmonatige Aufenthaltsstipendien vergeben werden, bei denen etwa Kinder nicht erwünscht sind – was für literaturschaffende Eltern ein Problem ist.

"Es war zwar gut, dass hierzulande so früh mit der Digitalisierung der Angebote begonnen wurde.

Mit dem kostenlosen Überangebot hat man aber auch Chancen vergeben." 

Barbara E. Seidl

Wegen der Pandemie mussten im vergangenen Jahr die meisten Leseveranstaltungen abgesagt werden, was für Autor*innen natürlich schmerzlich war, da sie viel Marketing bringen. Siehst du die coronabedingte Digitalisierung dennoch als Chance für den Literaturbetrieb?

Es war schon sehr beeindruckend, wie rasch die Literaturszene mit digitalen Angeboten reagierte und welche Bemühungen unternommen wurden, nach Alternativen zu suchen. Das Live-Lesen vom Literaturhaus Salzburg hatte großen Zulauf, es konnte ein viel größeres Publikum erreicht werden als bei Präsenzveranstaltungen. Leider gibt es folgendes Dilemma: man kann zwar über digitale Möglichkeiten viel mehr Leute erreichen, die vielleicht sonst nicht zu einer Lesung kommen würden, andererseits sind die Angebote meist gratis. Im englischsprachigen Raum hingegen wurde mit digitalen Lesungen später gestartet, dafür gibt es diese nur selten umsonst: sogar die Lesungen über den Facebook-Stream kosten bei bekannteren Autor*innen pro Teilnehmer*in oft 30, 40 Euro. Es war zwar gut, dass hierzulande so früh mit der Digitalisierung der Angebote begonnen wurde. Mit dem kostenlosen Überangebot hat man aber auch Chancen vergeben. Ich denke, viele wären bereit, fünf Euro zahlen. Dann müsste man vielleicht ein Zuckerl wie Diskussionen mit der Autorin etc. anbieten, oder dass die fünf Euro als Büchergutschein gelten.

Glaubst du, die digitalen Angebote werden sich auch post Corona halten?

Die Bereitschaft für ein digitales Angebot zu zahlen, ist im Vergleich zu einer Präsenzveranstaltung vermutlich niedriger. Ob sich das ändert, wird sich zeigen, wenn wieder beides möglich ist. Es ist sicher auch jahreszeitenabhängig: im Sommer vermissen die Leute es bestimmt mehr, Präsenzveranstaltungen zu besuchen. Die soziale Komponente ist sehr wichtig. Ich glaube aber schon, dass es künftig mehr digitale Veranstaltungen geben wird, weil man auch Leute aus dem Ausland und neue potenzielle Kund*innen erreicht. Der Bachmannpreis war 2020 erstmals digital, die Gewinnerin hat in ihrer Dankesrede betont, dass sie ansonsten nicht teilnehmen hätte können, da sie ihren kranken Mann betreuen musste. Das sind sicher positive Effekte, die bleiben.

Wie siehst du das unternehmerische Denken im Literaturbetrieb? Wäre da Luft nach oben oder soll man sich auf Förderungen verlassen?

Ich bin schon der Meinung, dass es mehr Förderungen geben sollte. Aber das Hauptproblem ist: Kunst im Allgemeinen und auch Literatur werden oft nicht als Arbeit gesehen. Hier bräuchte es ein Umdenken. Am stärksten fällt es mir bei Publikationen in Literaturzeitschriften auf: es ist nicht üblich, dass Autor*innen für Beiträge im deutschsprachigen Raum bezahlt werden – im Gegensatz zum angloamerikanischen Raum. Natürlich erklärt sich das dadurch, dass die Zeitschriften kein Budget haben. In den USA und England ist das anders – dort sind zwei Modelle üblich: man bezahlt je nach Prestige der Zeitschrift eine Einreichgebühr von etwa umgerechnet fünf bis 20 Euro. Dementsprechend ist auch das Preisgeld recht hoch. Für dieses Modell spricht, dass ich mir als Autorin zwei Mal überlege, ob und was ich einreiche. Die Hemmschwelle ist etwas höher, die Qualität der eingereichten Texte steigt dadurch. Im zweiten Modell finanziert sich die Zeitschrift, ähnlich wie Zeitungen, über Werbeeinschaltungen, die die Autor*innenbeiträge finanzieren. Ich sehe das auch als Akt der Wertschätzung, als Honorierung der geleisteten Arbeit. Wenn das Honorar die Publikation selbst ist, wie hierzulande üblich, zeigt das keine große Wertschätzung. Das zieht sich dann weiter, etwa auf Plattformen wie Amazon, wo die Leute Bücher um zwei Euro kaufen und nicht mehr bereit sind, 20 Euro auszugeben. Der Bedarf in Österreich ist, denke ich, groß: Ich arbeite auch an einer Ausschreibung für bezahlte Veröffentlichungen.  

Zu den Förderungen: wo siehst du da Reformbedarf?

Ich bin für Förderungen, allerdings sollten sie differenzierter ausgeschrieben werden und eben nicht vorrangig an junge, kinderlose Autor*innen gehen. Auch die Einreichungen selbst sollten anonym gestaltet sein - was in Österreich oft nicht der Fall ist. Österreich ist ein kleines Land, jeder kennt jeden, das zieht sich durch viele Ebenen und eben auch durch den Kulturbetrieb. Ich fände es auch spannend, vermehrt Unternehmen als Sponsoren oder für Stiftungen zu gewinnen. Es gibt mehrere Möglichkeiten wie das auch im akademischen Bereich der Fall ist.  Es gibt Ansätze in Österreich wie etwa der Literaturpreis der Ärztekammer. Hier könnte man mehr tun – auch im kleinen Rahmen. Auch bei den Corona-Förderungen haben Künstler und Literaturschaffende sehr lange gewartet – obwohl es die einzige Unterhaltung war, die die Leute hatten. Kunst und Kultur haben eine wichtige gesellschaftliche Rolle, da würde ich mir mehr Wertschätzung wünschen.

Was ist dein Ziel mit Litrobona für 2021?

Ich möchte die Plattform weiter ausbauen und mit verschiedenen Formaten experimentieren. Anfang März habe ich etwa eine Aktion zum Thema Misogynie in der Literaturkritik gestartet, bei der vierzehn österreichische Autor*innen zu diesem wichtigen Thema Stellung bezogen. In diesem Jahr soll es vermehrt Themenschwerpunkte geben. Außerdem bastle ich an einem neuen Videoformat und plane eine Ausschreibung für einen Literaturwettbewerb. 

Weiterführende Links:

Litrobona.com - Austrian Literature now

Das Litrophon - der Literatur-Podcast: Podigee  Soundcloud Spotify

beseidl.com - Barbara E. Seidls Webseite

https://www.newworkstories.com/literaturszene-wir-brauchen-unternehmerisches-denken/

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Beitrag von Nicole Thurn

ist Herausgeberin von Newworkstories.com, New-Work-Enthusiastin und langjährige Journalistin mit einem kritischen Blick auf die neue Arbeitswelt.

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