Der Mensch wird in Zukunft zum Cyborg, glauben Verfechter des Transhumanismus. Nur die Besten werden geboren, Google wird unser Lehrer. Bildungsforscher Thomas Damberger erklärt mir im Interview die irren Visionen.

Thomas Damberger war im Oktober 2016 beim DNA Smart Afternoon in Wien als Speaker zu Gast. © Nicole Thurn
Johnny Depp liegt im Sterben. Nicht im echten Leben, sondern als genialer Wissenschaftler Will Caster im Film "Transcendence". Eben noch hat er bei einem Vortrag die Transzendenz künstlicher Intelligenz prognostiziert, jetzt hat ihn eine radioaktive Pistolenkugel der Terroristengruppe "Revolutionäre Unabhängigkeit von Technologie" dahingerafft. Seine Frau und Forscherkollegin Evelyn entschließt sich mit seinem besten Freund Max zum verzweifelten Experiment und lädt Casters Bewusstsein erst in den Quantencomputer der Forschungseinrichtung, dann ins Internet hoch. Caster lebt nun als digital vernetztes Bewusstsein weiter - und kontrolliert bald nicht nur die Finanzmärkte, sondern per Nanotechnologie auch andere Menschen. Der Plot ist faszinierend und ziemlich schräg. Aber ist er zu schräg, um künftig wahr zu sein? Auf dem DNA Smart Afternoon in Wien, einem Kongress für Neues Arbeiten, treffe ich einen Tag nach meinem Depp-Abend Thomas Damberger. Der Bildungswissenschaftler an der Goethe-Universität Frankfurt, beschäftigt sich mit dem Transhumanismus - der philosophischen Strömung, die den schnöden Tod mit neuen Technologien überwinden will. Thomas sagt seelenruhig: Der Film ist keine Spinnerei.
New Work Stories: Thomas, ich nehme an, du hast "Transcendence" gesehen. Sein Bewusstsein ins Internet hochzuladen - glaubst du, wird das irgendwann möglich sein?
Thomas Damberger: Das ist das große Endziel der Transhumanisten. Es würde bedeuten, den Tod überwunden zu haben. Das wirft die Frage auf: Sind wir dann diese Wesen? Oder ist das dann jemand anderes?
Diese Frage wirft auch der Film auf. Ist Will Caster es noch, oder nicht, weil er ja mit dieser Technologie zu einem neuen Wesen verschmolzen ist.
Genau. Übrigens muss man sehr ernst nehmen, was in dem Film angesprochen wird. Das ist keine hirnspinnerte Idee: die Filmemacher haben sich intensiv mit Leuten befasst, die an vorderster Front dazu forschen. Will Caster wird upgeloadet, kann auf die vernetzte Welt zugreifen und entwickelt sich zu etwas, was Nick Bostrom einen bösen Singleton genannt hat, eine böse allumfassende Macht, die alles kontrolliert.
Klingt apokalyptisch. Bist du ein Verfechter des Transhumanismus oder ein Kritiker?
Ein Kritiker, aber ich sage nicht, der Transhumanismus ist schlecht. Transhumanisten tun, was Menschen seit Anbeginn machen: sie wollen Grenzen überwinden. Die Medizin hat es geschafft, dass wir nicht mehr an einer Blinddarmentzündung sterben müssen, dass wir 80, 90 Jahre alt werden. Warum nicht 120, 130 Jahre? Die Gentechnik wird das möglich machen. Der Transhumanismus überwindet diese Grenzen und das finde ich toll.
Ist das der nächste evolutionäre Schritt: der Mensch muss sich selbst überwinden?
Ja, der Mensch wird posthuman, bleibt aber dennoch ein Mensch. Die Transzendenz selbst ist dann menschlich. Wenn wir mit der Technik verschmelzen, sind wir immer noch Menschen, aber anders. Denn der Mensch hat immer noch Bildung, eine Maschine hat das nicht. Künstliche Intelligenz kann lediglich dazulernen.
Brauchen wir im Transhumanismus eine neue Ethik?
Ja, auf jeden Fall. Dadurch, dass es mehrere Technologien gibt, gibt es auch mehrere Optionen. Dadurch brauchen wir eine neue Ethik. Bei Ungeborenen kann heute das Downsyndrom diagnostiziert werden, was vermehrt zu Abtreibungen führt. Die Abtreibungsrate ist glaube ich in Deutschland bei 90 Prozent. Die Frage ist, ist das ethisch? Wo ziehe ich die Grenze? Julian Savulescu, Professor für Angewandte Ethik an der University Oxford, steht dem Transhumanismus nahe: Er plädiert dafür, das beste Kind zu wählen. Wenn wir technisch so weit sind, mehrere Eizellen zu befruchten und das beste Genmaterial zu analysieren, dann ist es die moralische Pflicht, den besten Embryo zu wählen.
Weil?
Weil dieser Mensch die besten Voraussetzungen für ein gutes Leben hat und Wirtschaft und Gesellschaft am meisten von ihm profitieren werden.
Das erinnert an den Nationalsozialismus und seine Bekämpfung des "unwerten Lebens".
Ja, das stimmt. Diesen Gedanken in der Pädagogik gibt es aber schon sehr lange. Die Reformpädagogin Ellen Key (1849-1926, Anm.) sagt, dass die beste Erziehung nichts machen kann,- das klingt jetzt sehr hart - wenn das Menschenmaterial schlecht ist. Sie sagt im Buch "Das Jahrhundert des Kindes", man müsste bereits bei der Menschenzucht ansetzen. Sie will, dass es per Gesetz ein verpflichtendes Gesundheitszeugnis gibt. Wer sich paaren will, soll anhand dieser Gesundheitszeugnisse abschätzen, würde ein Kind zur Verbesserung der Menschheit beitragen oder nicht.
Puh, aber man kann ja nicht wissen, was aus dem Kind werden kann.
Ja, da geht es nur um Wahrscheinlichkeiten. Einen Stephen Hawking würde es nach dieser Logik nicht geben.
Der Begründer des Begriffs Transhumanismus ist übrigens Julian Huxley, der Bruder von Aldous Huxley, Autor von "Brave, new world". Julian Huxley war auch Eugeniker und überzeugt davon, dass die Gesellschaft degeneriert, weil die natürliche Selektion nicht mehr funktioniert. Wir nehmen Arme, Kranke, Schwache mit. Wir sollten gucken, dass sich die Besten, Stärksten entwickeln, sagt er. Auch Ellen Key hat sich für Euthanasie von stark behinderten Kindern ausgesprochen. Das ist keine Erfindung der Nazis. Als sie das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses verabschiedeten, waren etwa Norwegen, Schweden, Estland dabei. Transhumanismus bietet zumindest die Möglichkeit, einen Genanalyse zu machen und zu selektieren.
Das klingt beängstigend. Du sprichst auch vom blinden Fleck des Transhumanismus. Was bedeutet er?
Transhumanisten gehen davon aus, dass die Welt berechenbar ist. Was nicht berechenbar ist, ist nur noch nicht berechenbar. Ich gehe aber davon aus, dass es etwas gibt, das genuin ganz unbegreifbar ist und immer sein wird. Ich kann über mich selbst nachdenken, aber währenddessen mich selbst nicht denkend erfassen. Wie machen wir das, aus Nichts etwas zu machen? Was uns Menschen auszeichnet, ist das prinzipiell Unberechenbare. Dem würden Transhumanisten widersprechen. Für sie wäre das etwas Übernatürliches und das ist es auch. Martin Heidegger sagt, wir Menschen sind Wesen in der Lichtung des Seins und wir können sprechen, wir haben Zugang zu etwas, was wir nicht verstehen, etwas, das uns ermöglicht hat, dass wir hier sind, und wir können das zum Ausdruck bringen.
Transhumanisten glauben also nicht an Gott?
Die allermeisten lehnen Gott ab. Es gibt aber auch transhumanistische Mormonen.
Es gibt ja bereits Forschungsprojekte, denen der Transhumanismus zugrundeliegt.
Ja, dass der Chefingenieur von Google, Ray Kurzweil, Transhumanist ist, ist kein Zufall. Er prophezeit auch, wir können unsere Denkleistung irgendwann in die Cloud laden. Man kann zudem das menschliche Genom seit Anfang der 2000er entschlüsseln. Das ganze Prozedere ist 2,7 Milliarden Dollar teuer, bis 2024 wird es wahrscheinlich nur mehr einen Dollar kosten, sich sein eigenes Genom entschlüsseln zu lassen. Das chinesische Unternehmen BGI bieten solche Sequenzierungen an, man schickt ihm einfach seine Speichel- und Blutprobe. BGI bietet nicht nur die Entschlüsselung an, sondern auch Tipps, wie wir uns gemäß unserer Gene ernähren sollen und langfristig auch Medical Food, das auf das individuelle Genom perfekt abgestimmt ist.
Es gibt auch Versuche, mit Gedanken Computer zu steuern.
Es gibt die invasive Methode über implantierte Elektroden. Mit Sicherheit werden wir bald Chips implantiert bekommen. Man kann sich heute schon welche spritzen lassen, es ist aber noch unangenehm. Man kann damit dann das Auto öffnen, bargeldlos bezahlen. Die zweite Überlegung ist nicht-invasiv. Man kann mit viel Konzentration einen Text auf einem PC schreiben, rein über Gedanken. Die Ströme werden mit einem Helm gemessen, die Impulse an den Rechner gesendet. Man forscht auch an synthetischer Telepathie: man setzt Elektrochips ins Gehirn ein, die Gedanken an die andere Person übertragen.
Was könnte das für das Lernen und für Arbeitsprozesse bedeuten? Muss ich noch lernen, wenn ich mich mit Google verbinde?
Das Arbeiten wird sich in den nächsten Jahren fundamental verändern. Wir werden unsere individuellen Fähigkeiten in die Crowd im Internet setzen und andere werden danach suchen. Das mobile Internet wird überall zugänglich sein. Zweitens: Künstliche Intelligenz wird sich entwickeln. Und drittens es gibt immer mehr adaptive Lernprozesse: Man lernt am Computer, spricht mit ihm, er misst meine Daten, wertet meine Stimme aus. Der Computer erstellt ein individuelles Curriculum, das perfekt auf mich abgestimmt ist. Das kann kein Lehrer leisten. Das wird das Lernen auf jeden Fall revolutionieren. Lehrer werden krank, kosten viel. Die Unis sind überfüllt. Die Frage ist: kann eine Maschine den Menschen tatsächlich zur Bildung führen.
Du sagst: Der Mensch kann der Künstlichen Intelligenz mit Kreativität die Stirn bieten.
Das ist die große Frage. Kreativität ist, was uns maßgeblich von der Künstlichen Intelligenz unterscheidet. Die KI kann aber Kreativität und Gefühle in einem Maß simulieren, dass wir den Unterschied nicht mehr erkennen. Ein Roboterkind, das realistisch aussieht und weint, werden wir in den Arm nehmen und trösten.
Ich projiziere also irgendwann meine Gefühle auf das Roboterkind.
Ja, das ist nur natürlich. Du weißt nicht, ob ich ein Mensch bin, ob irgendjemand, der hier rumläuft, ein Bewusstsein hat.
Glaubst du, können Maschinen den Menschen tatsächlich ersetzen?
Wenn der Mensch Sachen macht, die nicht menschlich sind, weil er nur funktioniert, dann kann und sollte die Maschine ihn von seinen Qualen erlösen. Doch der Mensch muss ja auch irgendwie leben. Bei den industriellen Revolutionen sind alte Sachen kaputtgegangen, neue sind entstanden. Heute werden sich ganz viele Bereiche fundamental verändern und erneuern. Das abzuschätzen ist aber fast unmöglich. Ich denke, unsere Vorstellung vom Menschen, die ja nie wirklich fix war, wird sich angesichts der Entwicklungen im Bereich Digitalisierung, KI, Roboter, Biotechnologie usw. verändern. Mensch und Maschine werden sicher mehr und mehr ineinander übergehen, diese Entwicklung zeichnet sich bereits ab. Das wird unser Denken und Fühlen verändern und auf diesem Wege wiederum unsere Vorstellung vom Menschen. Wir reden dann nicht mehr vom Ersetzen, vom Entweder-Oder, sondern von etwas Neues. Und dieser Übergang zum Neuen wird ganz allmählich geschehen. Wenn wir ihn hingegen mitgestalten wollen, brauchen wir zwei Dinge. Erstens: Aufklärung über das, was tatsächlich geschieht und was möglich ist und zweitens: den Mut, die Entwicklungen nicht passiv hinzunehmen, sondern aktiv mitzugestalten.
Nicole Thurn