Als Historiker landete Leser Stefan früh in prekärer Arbeit und schließlich in einem Job, der ihn krank macht. Es gibt gute Gründe, warum er nicht kündigt. Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen könnte er seine Berufung leben, erzählt er.
Anlässlich der neuen Brand Eins Edition habe ich auf Facebook und Twitter nach Antworten zu der Frage "Was würdest Du arbeiten, wenn Du nicht müsstest?" aufgerufen.
Dieses Mail habe ich von Leser Stefan erhalten – seine ausführliche Beschreibung, warum er in einem Job gefangen ist, den er hasst, hat mich sehr berührt. Hier folgt seine Geschichte im Wortlaut:
„Gleich zu Beginn, meine Antwort lautet ganz einfach: Ich würde in meinem tatsächlichen Beruf arbeiten. In jenem, den ich aus Interesse gewählt habe und den ich als Berufung und nicht als Beruf sehe. Im Grund sind es ja zwei Berufungen, doch greifen diese, vor allem in ihrer Durchführung, ineinander.
Dennoch bin ich in einem Job gelandet, den ich hasse. Ich möchte hier erzählen, wie und warum das geschehen ist. Man erlaube mir, keine direkten Namen von Unternehmen oder Institutionen zu nennen. Persönlich wäre es mir egal, wenn ich dadurch Probleme bekomme, denn ich denke, es müsste offen angesprochen werden. Aus Rechtsgründen möchte ich es dennoch dabei belassen.
Als studierter Althistoriker ist mein Berufsbild natürlich von Projekten dominiert. Doch nicht nur. Ich habe mich im Bereich des Museumsmanagements und des Journalismus weitergebildet und dennoch sehr viele Enttäuschungen erlebt.
Nach Abschluss meines Studiums war ich als Kulturvermittler tätig, meine erste Berufung. Bis die Einreichung eines Universitätsprojekts, bei welchem ich tätig werden sollte, durch war. Als Kulturvermittler arbeitete ich in einem freien Dienstvertrag, lediglich geleistete Stunden wurden bezahlt. Zudem war es eine saisonale Beschäftigung, was im Grunde kein Problem gewesen wäre, wäre das Universitätsprojekt nicht abgelehnt worden.
Aus diesem Grund musste ich schon zu dieser Zeit einen vollkommen anderen Beruf annehmen, den ich hasste wie die Pest, wenn ich dies ganz offen sagen darf.
Ich verkaufte Brillen in einem renommierten, deutschen Großunternehmen. In einem halben Jahr hatte ich nur einen freien Samstag. Wie das ging? Wir bekamen einen Werkvertrag für Metallarbeiter, nicht für Verkäufer. In der heutigen Arbeitswelt, wo jeder Arbeitnehmer sofort ersetzbar ist, ist scheinbar alles möglich.
Einzig positiv war: nach einem halben Jahr wechselte ich zurück in die Kulturvermittlung, wo ich in einer Landesausstellung beschäftigt war und gut verdiente. Natürlich arbeitete ich die Saison durch, d. h. kaum freie Wochenenden bzw. freie Tage. Dies ist in einem freien Dienstvertrag möglich und vom Arbeitnehmer selbst zu bestimmen.
Nach dem Ende der zweiten Saison als Kulturvermittler musste ich mir etwas überlegen. Die Landesausstellung war vorbei und die Kulturvermittler sollten in der nächsten Saison ausgedünnt werden.
Ich landete beim größten Arbeitgeber Österreichs, dem AMS.
In dieser Zeit wurden in meiner ursprünglichen Heimat, dem südöstlichen Niederösterreich, Stimmen laut, die eine adäquate Person für historisch-kulturelle Projekte forderte. Ich sollte diese Person werden. Daher bezahlte ich eine dazu passende Schulungsmaßnahme selbst, das AMS übernahm die Kosten dafür nicht. Das Projekt wurde schließlich gecancelt, nachdem man eineinhalb Jahre darüber verhandelt und diskutiert hatte.
Ich hatte meine Arbeitslosigkeit in der Zwischenzeit gut genutzt und zwei wissenschaftliche Bücher auf den Markt gebracht. Dabei hatte ich mein Interesse zum Schreiben entdeckt und begann einen Roman, dessen erster Teil mittlerweile einen Verlag sucht. So kam ich zur zweiten Berufung meines Lebens. Und wie die erste, war auch diese vom Endprodukt und nicht der Arbeitsleistung bestimmt. Sprich, anerkannt wird nur das fertige Buch. Die Zeit, die man dazu investiert, Recherchen durchzuführen, zu plotten, zu schreiben, zu überarbeiten, wird nicht anerkannt, denn in dieser Zeit sitzt man faul zuhause und tut ja nichts.
"Da mich sowohl die Gesellschaft, wie auch das AMS
zu einer beruflichen 40-Stunden-Woche drängte,
musste ich wohl oder übel diesen Beruf annehmen, den ich,
wenn ich es so ausdrücken darf,
hasse wie die Pest."
Dann bot mir die LEADER-Region, welche das historisch-kulturelle Projekt ursprünglich initiiert hatte, eine Stelle als einfacher Sachbearbeiter an. Weder mein Studium, noch meine Weiterbildungen wurden anerkannt. Im Gegenteil, mir wurde in Mitarbeitergesprächen sogar mitgeteilt, dass meine Qualifikationen nicht benötigt würden. Es sei daher erforderlich, dass ich meine Ambitionen aufgebe und das tue, was von mir verlangt wird.
Kurz um, ich tat und tue Arbeiten eines Praktikanten und erhalte ein Gehalt, für welches ein Maturant nur müde lächelt. Da mich sowohl die Gesellschaft, wie auch das AMS zu einer beruflichen 40-Stunden-Woche drängte, musste ich wohl oder übel diesen Beruf annehmen, den ich, wenn ich es nochmals so ausdrücken darf, hasse wie die Pest.
Mittlerweile bin ich in diesem bereits dreieinhalb Jahre gefangen. Mein Vorgesetzter übt sich in Kontrollwahn. Selbst einfache Mailtexte müssen von ihm kontrolliert und dann 32 Mal überarbeitet werden. Beliebte Sager von ihm sind: "Du kannst das ja nicht!" "Sowas wie dich habe ich hier eh nicht gebraucht!" "Das ist bei uns halt so! Wenn du damit nicht leben kannst, dann hat's eh keinen Sinn!" Mittlerweile haben wir, die Mitarbeiter, eine Sammlung der besten Sprüche begonnen. Selbstironie und Gelassenheit halten uns am Leben und zusammen. Meine KollegInnen sind es, die meinen Job noch erträglich machen. Der Betriebscoach, den wir mal hatten, um "unsere Effizienz zu steigern", hat ebenfalls die Waffen gestreckt. Er musste feststellen, dass unser Vorgesetzter "beratungsresistent" ist.
Ich konzentriere mich parallel auf meine Berufungen. Ich schreibe an meinen Romanen und suche bei jeder Gelegenheit nach einer Möglichkeit der Veröffentlichung. Ein Interesse, meinem Studienabschluss ein Doktorat anzuschließen, besteht ebenfalls, doch auch dieses will finanziert und zeitlich durchgeführt werden.
Warum ich immer noch in meinem Beruf gefangen bin, wo ich ihn doch so hasse, wird man sich jetzt vielleicht fragen. In diesem Fall möchte ich auf Patrica Janes Blogartikel "Warum du dir schadest, wenn du nicht das tust, was du liebst" verweisen. Man benötigt zum einen das Geld, um seinen Lebensstandard zu halten. Doch das ist nicht der zwingende Grund. Auch ich hätte kein Problem damit, einen Job, den ich liebe, für weniger Geld zu machen. Es sollte lediglich so viel sein, dass man davon leben kann.
Daneben aber ist es ein verdammt harter Gesellschaftsdruck. Du bist nur jemand und zählst als gesellschaftlich anerkanntes Mitglied, wenn du arbeitest. Wenn du dich auch dabei kaputt machst, Hauptsache du schmarotzt nicht das Arbeitslosengeld! Die Definition von ,Arbeit' ist dabei vollkommen nebensächlich. Es zählt auch nicht die tatsächliche Leistung. Es zählt rein die Zeit, die du dafür aufwendest. Und so lange es vierzig Stunden pro Woche sind, ist alles in Ordnung und entspricht der gesellschaftlich anerkannten Norm.
Dies ist ein sehr schwerwiegender Grund, sich selbst in einen verhassten Job zu begeben. Ich selbst bin das beste Beispiel dafür und schäme mich auch nicht, dies offen zu sagen.
Das Grundeinkommen wäre ein Segen für mich
Genau darin liegt nämlich das Problem dieser Gesellschaft und genau dafür böte ein bedingungsloses Grundeinkommen die Lösung. Für mich wäre es ein Segen.
Ich könnte mich meinen eigenen Wunschberufen/Berufungen zuwenden.
Im Hinblick auf mein Autorendasein würde mir ein bedingungsloses Grundeinkommen die Zeit geben, welche ich für die Realisierung meiner Buchprojekte benötige. Mein „Wunschdenken“ beinhaltet selbst meinen geliebten Beruf des Kulturvermittlers. So wäre es beispielsweise möglich, im Sommer saisonal als solcher zu arbeiten, wie ich es früher gerne tat. Dass dieser nur gering bezahlt wäre, wäre nebensächlich, weil das bedingungslose Grundeinkommen mir dabei helfen würde, denn Alltag zu meistern. In den Wintermonaten würde ich mich meinen Forschungen und meinen Buchprojekten widmen.
Es heißt nicht, dass ich zu arbeiten aufhören würde. Im Gegenteil. Ich würde mich viel stärker und mit viel mehr Elan und Enthusiasmus in diese stürzen. Niemand würde mehr arbeiten: Dies ist das häufigste Argument, das bedingungslose Grundeinkommen abzulehnen. Doch „Feldversuche“ hierzu haben gezeigt, dass lediglich 1% der Bevölkerung wirklich nichts mehr arbeiten würde.
Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde sogar den Projekten an den Universitäten und anderen Zweigen helfen, davon bin ich überzeugt. Eine Einreichphase wäre kein Leerlauf mehr. Im Gegenteil – die Projekte könnten besser vorbereitet werden, Unstimmigkeiten oder Missverständnisse könnten ausgeräumt werden, ohne dass man bei Nichteinhaltung der Einreichfrist vor dem wirtschaftlichen Ruin stünde. Themen könnten erforscht werden, die vielleicht wegen mangelnder Effizienz niemals initiiert worden wären. Kooperationen und fächerübergreifendes Arbeiten würden erleichtert. Junge Familien könnten die gewonnene Zeit für ihre Kinder nutzen. Gerade junge Frauen würden ganz besonders profitieren. Sie müssten sich nicht mehr zwischen Karriere und Kinderwunsch entscheiden. Frauen werden in unserer Gesellschaft häufig in die Teilzeitfalle gelockt, weil sie Kinder und Beruf unter einen Hut zu bringen versuchen. Schwierig vor allem dann, wenn sie noch alleinerziehend sind.
Das alles könnte geschehen. Eine schöne neue Welt, die vermutlich niemals Wirklichkeit werden wird.
Schon gar nicht in der gegenwärtigen politischen Konstellation, doch dies soll hier nicht kommentiert werden.
Nur so viel sei den Verantwortlichen gesagt: Sie sollen darüber nachdenken, weshalb gerade Depressionen und Burnout in den letzten Jahren stark zugenommen haben. Ich bin selbst nicht davon gefeilt und schäme mich nicht, zuzugeben, dass ich über eine Therapie nachdenke, weil ich merke, dass mich mein Job krankmacht.
Ich fiel schon mit schweren Schwindelanfällen aus, nur um von meinem Vorgesetzten dann zu vernehmen, dass man sich von mir trennen müsse, wenn ich die Belastungen nicht aushielte. Der Ausfall fand übrigens zwei Mal im Jahr 2017 statt, für gerade mal drei Tage jeweils. Dann raffte ich mich wieder auf und stieg zurück ins Hamsterrad.
Studien haben übrigens bewiesen, dass Krankheitsfälle abnahmen, als ein bedingungsloses Grundeinkommen getestet wurde. Dies ist nur zu begreiflich. Der Gesellschaftsdruck fällt weg. Die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes verschwindet. Man beschäftigt sich mit Dingen, die einem wirklich interessieren. All das trägt zur Gesundung der Gesellschaft bei. Und das wäre dringend nötig.“