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Gegen die Selbstsabotage: So zähmst du den Tyrannen in dir

Autor: Nicole Thurn
Datum: 16.04.2021
Lesezeit: 
12 Minuten

Interview. Er sorgt für schlechte Laune, Ängste und Selbstzweifel und ist der Grund, warum wir uns  selbst klein halten, obwohl wir groß sein könnten: der innere Tyrann. Pamela Obermaier und Dominik Borde decken die inneren Mechanismen der Selbstsabotage auf und inspirieren mit diesen Mindfucks  für ein erfüllteres (Berufs-)Leben.

Er ist fies, macht uns klein,  er lässt uns Wichtiges aufschieben und hält uns ab von dem, was wir wirklich, wirklich wollen: der innere Tyrann ist für die meisten Menschen ein alter lästiger Bekannter, den sie einfach nicht los werden – egal ob im Job oder im Privatleben. Potenzialcoach und Bestsellerautorin Pamela Obermaier und Beziehungscoach Dominik Borde haben das Buch "Mein innerer Tyrann – über die Kunst, sich selbst nicht im Weg zu stehen" über ihn geschrieben. Im großen und sehr inspirierenden NewWorkStories-Interview kommen sie dem inneren Tyrannen auf die Spur und erklären, wie wir ihn zähmen können. 

New Work Stories: Der innere Tyrann – was ist das genau und wie erkennen wir ihn? Was wir gemeinhin als inneren Kritiker kennen?

Pamela Obermaier: Der innere Tyrann kann vieles sein. Gemeinhin wird er auch als innerer Kritiker bezeichnet. Er kann die innere Stimme sein, die dich ständig runtermacht. Er sagt dir dann beispielsweise: „Du kannst das nicht!“, „Du schaffst das nicht!“, „Lass das lieber!“ Der innere Tyrann kann dir aber auch Dinge zuflüstern, die dazu führen, dass du mit anderen schlecht umgehst: „Das Leben ist ein Kampf“, „Das darf man sich nicht gefallen lassen!“ In der Regel bemerken wir ihn nicht – all das läuft unbewusst ab. Das führt dazu, dass wir Entscheidungen treffen, zu denen er uns unbewusst getrieben hat. Wir erkennen ihn, indem wir hellhörig und bewusster werden. Das geht nur in der Stille. Das geht genauso wenig, wenn wir in Gedanken ständig bei dem sind, was gestern, vor zehn Jahren oder in der Kindheit nicht funktioniert hat, wie wenn wir ständig in der Zukunft bei unseren Zielen oder Ängsten sind.

Der innere Tyrann überschüttet uns also mit negativen Glaubenssätzen.

Dominik Borde: Der innere Tyrann ist dein Ego. Wir bemerken nicht, dass wir unbewusst ständig in einem Hamsterrad rennen. Es ist wie im Film Matrix: Nimmst du die rote oder die blaue Pille? In dem Moment, wenn du merkst, dass du viel mehr bist als das was du denkst, und das hinterfragst, was an Mustern, Gewohnheiten, Verhaltensweisen und an Bewertungen in Gut und Schlecht in dir vorgeht, erst in diesem Moment erkennst du ihn.

Wie können wir ihn zähmen? Etwa, wenn er sich etwa meldet, wenn wir uns verändern, weiterentwickeln wollen, uns aber nicht trauen? Sei es Jobwechsel, Selbstständigkeit oder ein neues Projekt?

Dominik: Der erste Schritt ist zu erkennen: Wir sind nicht unsere Programmierung – sondern viel mehr, wie eben unser Computer auch mehr ist als seine installierten Programme. Wir haben uns vieler dieser Denk-, Handlungs-, und Verhaltensmuster unbewusst angeeignet – durch Kultur und Erziehung. Der erste Schritt ist sich dessen bewusst zu werden. Die meisten Menschen leben die meiste Zeit in ihrem Kopf und nicht im Hier und Jetzt. Wichtig ist also zweitens, im Hier und Jetzt anzukommen und zu spüren, dass du gerade in eine Blockade gerätst. Der dritte Schritt ist, neue Verhaltensweisen und Gewohnheiten bewusst zu etablieren. Damit sie in Fleisch und Blut übergehen, muss man sie üben. Ein Beispiel: wenn du deine Unsicherheit überwinden willst, musst du über sie hinausgehen, also: face your fear. Die Angst ist der rote Teppich, der Runway, zum Mut. Selbstsicherheit ist also Übungssache – aber auch Liebe kann man bewusst erlernen.

Ihr habt einen buddhistischen Zugang, der auch im Mentaltraining bekannt ist: nicht was im Außen passiert, sondern die Gedanken verursachen das Leiden. Das klingt für manche in schwierigen Situationen erstmal zynisch. Ein Beispiel: Hätte mich mein Mann nicht verlassen und wäre ich nicht gekündigt worden, würde es mir jetzt nicht schlecht gehen! Was entgegnet ihr dem?

Dominik: Wenn das passiert, denkst du erst einmal, dein Leben ist scheiße. Das ist im ersten Moment verständlich, aber auch egoistisch. Woher willst du wissen, dass dir diese Ereignisse nicht das Leben gerettet haben? Das Leben ist das, was passiert, während wir im Kopf andere Dinge planen.

Pamela: Ich bringe gern ein Beispiel aus meinem Leben: Mein erstes Scheitern ist mir als Kind passiert, als ich nach der Volksschule nicht ins Musische Gymnasium aufgenommen wurde, das meine Lehrerin für mich auserkoren hatte. Meine Lehrerin ging deshalb sogar zur betreffenden Direktorin, setzte sich für mich ein, weil sie davon überzeugt war, dass ich prädestiniert für diese Schule war. Erst durch diese Reaktion der Erwachsenen hatte ich das Gefühl, ich hätte etwas nicht geschafft. Dabei war dieser Umstand großartig für mich, denn er hat mich an eine andere Schule gebracht, in der mich mein Deutschlehrer später vom Schulabbruch abhielt – er war dann bis zu seinem Tod mein großväterlicher Mentor. Meine beste Freundin schaffte diese Aufnahmeprüfung ins Musische Gymnasium im selben Jahr übrigens. Ich hab sie also nicht dort, sondern dann beim Busfahren kennengelernt. Mein Fazit: Wir können dem Leben vertrauen, denn die Menschen, die eine große Rolle für uns spielen, trifft man ohnehin.

Dominik: Wir agieren und reagieren zwar häufig mit unbewussten Mustern, aber wir haben auch immer die Möglichkeit zu entscheiden: mit welcher Haltung und Einstellung möchte ich einem Thema begegnen. Das Leben passiert. Du musst Vertrauen ins Leben haben. Frag dich: was kann ich daraus lernen? Stellst du dich gegen das Leben, gewinnt das Leben. Das anzunehmen was ist unsere einzige Chance. Damit in den Widerstand zu gehen, ist dagegen sinnloser Aufwand. Man beißt sich dann nur die Zähne daran aus.

Für manche, die einen schweren Schicksalsschlag erleben, mutet diese Einstellung vielleicht zynisch an.

Pamela: Wenn es um Tod und andere elementare Lebensthemen geht, stehe ich auch an. Dann geht es eher darum, den Schmerz auch zulassen und aushalten zu können. Das haben wir in unserer Kultur ja nicht wirklich gelernt. Bei uns geht es vorrangig darum, den Schmerz zu unterdrücken. Wenn man durch eine tiefe Krise geht, ist es so wichtig, sie zu erleben und sich das Trauern zu gestatten.

Dominik: Andererseits: Nur weil du sagst, ich hab ein großes Haus gebaut, geheiratet, eine erfolgreiche Firma und zwei Bücher geschrieben, hast du noch lange kein gutes Leben. Leben ist Emotion – nämlich, wie du mit diesen Events umgehst. Mindset ist eben nicht nur Hirn, sondern auch Herz. Es ist auch nicht nur Erfolg, Erfolg, Erfolg. Wenn der Spitzensportler nach der Niederlage mit seinem Schmerz nicht umgehen kann und nicht merkt, dass er viel mehr als nur ein Sportler ist, schafft er es nie wieder an die Weltspitze.

„Der Mensch leidet an zwei grandiosen Fähigkeiten: seinem enormen Erinnerungsvermögen und seiner blühenden Fantasie, was Ängste und Sorgen für die Zukunft betrifft. Das sind beides Orte, die nicht existieren. Es gibt nur das Hier und Jetzt – es ist der einzige Ort, an dem du etwas verändern kannst.“

Dominik Borde

Ihr schreibt im Buch: Die zwei Hauptleiden der Menschheit sind das Gefühl nicht gut genug zu sein und nicht geliebt zu werden. Diese Glaubenssätze prägen die Politik, Wirtschaft und auch das Arbeitsleben massiv. Inwiefern?

Dominik: Wie viele Menschen kaufen Dinge, die sie nicht brauchen oder die sie sich nicht leisten können – nur, um den Nachbarn zu beeindrucken oder die Eltern stolz zu machen? Wie viele befüttern ihren Online-Avatar auf Facebook mit Fotos und Statusmeldungen über ihr geniales Leben und sind innerlich dabei einsam? Wieviel tun wir, um dazuzugehören und unseren Status und unser Ego zu bewahren, sind dabei aber unglücklich? Wie viele Menschen versuchen unbewusst ihr Leben lang, den Erwartungen der Eltern oder anderer Menschen zu entsprechen, anstatt bewusst ihr Leben zu gestalten? Der innere Tyrann will immer mehr: mehr Aufmerksamkeit, mehr Status, mehr Bedeutung, mehr Abwechslung. Aber so versäumen wir das Glück im Hier und Jetzt. Hinzu kommt: Der Mensch leidet an zwei grandiosen Fähigkeiten: seinem enormen Erinnerungsvermögen und seiner blühenden Fantasie, was Ängste und Sorgen für die Zukunft betrifft. Das sind beides Orte, die nicht existieren. Es gibt nur das Hier und Jetzt – es ist der einzige Ort, an dem du etwas verändern kannst.

Pamela: Das Bemerkenswerte ist aus meiner Sicht ja auch diese eigenartige Schere: Einerseits finden sich viele Menschen mit einem Job ab, der sie nicht erfüllt, oder mit einer Partnerschaft, in der sie nicht glücklich sind – und andererseits wollen sie in Bezug auf die oberflächlichen Dinge im Leben immer mehr: noch mehr Geld, das noch modernere Auto, die noch tolleren Urlaube. Das wirkt doch schon so, als würden wir die innere Unzufriedenheit mit dem Konsumieren von äußeren Gütern auszugleichen versuchen. Ich denke, das ist der falsche Weg: so werden wir nie zufrieden sein. Wenn wir da ansetzen, wo es wirklich um was geht, also in unseren Beziehungen und in Bezug auf unseren Beruf, den wir täglich ausüben, dann brauchen wir das ganze Zeug, das wir kaufen, wahrscheinlich gar nicht mehr so wahnsinnig dringend.

Mir fällt auch auf: in der Karriere, im Wirtschaftsleben heißt es immer wieder, die Unzufriedenheit kann auch ein Motivator sein. Sonst würden wir uns nicht anstrengen, es nicht besser machen wollen …

Dominik: Das kommt aus unserer Erziehung und ist völliger Schwachsinn. Kein Coach wird hergehen, wenn du scheiterst und dir sagen: Du mieser Arsch, warum hast du das nicht geschafft? Sondern er wird sagen, mach nochmal! Schmerz und Leid sind definitiv nicht die besten Motivatoren für die Persönlichkeitsentwicklung. Wenn du dich im Hier und Jetzt scheiße fühlst und dich mit deinem Scheitern nicht annimmst, kommst du nicht weiter. Wenn du im Liebeskummer bist und jammerst, „ich werde niemals jemanden kennenlernen“, dann wird das so sein. Die Biochemie in einem traurigen Körper ist eine ganz andere als in einem begeisterten. Zustand wiegt mehr als Strategie. Wenn du deinen Zustand nicht kontrollieren kannst, wirst du im Leben immer an den gleichen Problemen scheitern. Innerer Wohlstand ist immer zuerst da, dann erst folgt der äußere. Was du an Gehalt verdienst, was du dir Wert bist, deine schönen Beziehungen: all das kommt aus deinem inneren Wohlstand. Unsere Erziehung hat uns allerdings nicht zu innerem Wohlstand und Fülle erzogen, sondern zu Mangelbewusstsein. Deswegen lassen wir uns vom Wunsch nach dem neuesten iPhone, den größeren Brüsten oder dem schöneren Haus versklaven. Wir machen uns zu Sklaven unserer Egobedürfnisse. Keiner der seine Egobedürfnisse befriedigt hat, hat danach keine mehr. Stell dir vor, du hast alles, wovon du träumst? Was kommt danach? Jede Wette: dein Ego wird etwas Neues finden, womit du unzufrieden bist. The only way out is in. Und das bringen wir den Leuten bei.

Pamela: Ich würde es nicht so sehen, dass die Unzufriedenheit ein Motivator sein sollte, sondern dass neue Produkte und Dienstleistungen die Antwort auf Probleme sein können, also dass wir kreative Lösungsfinder*innen sein sollten – aber eben mit Leichtigkeit und nicht unter Druck. Erfolg folgt einer Sogwirkung oder braucht eine Sogwirkung, aber keinen Druck. Dieses „Du kannst es nur zu etwas bringen, wenn du dich anstrengst. Du kannst nur was erreichen, wenn du schuftest bis zum Umfallen“ ist Blödsinn, das wissen wir längst aus diversen Studien der Hirnforschung. Die Zeit ist reif für Erfolg, der sich durch Begeisterung und Freude am Tun mit Mühelosigkeit einstellt. 

„Fortschritt wird es immer geben, weil der Mensch einen natürlichen Forscherdrang besitzt.

Wir müssen weg von der Ergebnisorientierung hin zur Erlebnisorientierung.“

Pamela Obermaier

Nehmen wir als Beispiel eines Visionärs Elon Musk: er ist ja mit seinen Gedanken sicher auch oft in der Zukunft, will „mehr“ erreichen und denkt groß. Und es scheint zu funktionieren.

Dominik: Elon Musk nehme ich als einen ganzheitlich denkenden Menschen wahr. Sein Ego ist nicht von Macht und Besitz getrieben, scheint mir, sondern eher von dem Wunsch nach Verbesserung und dem Nichtakzeptierenwollen des Status Quo – es ist kein Über-Ego, das sich über andere stellt, hoffe ich zumindest, sonst wäre er gefährlich genial. Ich glaube wir werden uns alle langsam einig als Menschheit, dass es so – mit der bisherigen Vorgehensweise über Gier und Mangelbewusstsein – nicht mehr weitergehen kann. Früher oder später müssen wir die „Schneller, höher, weiter“-Gesellschaft in einen ganzheitlicheren Aspekt überführen. Wir haben uns den Planeten so bequem gemacht: bei uns im Westen rinnt der Luxus in Wahrheit aus jeder Ritze. Unser schlimmster Albtraum ist der Wunschtraum von Millionen Menschen. 50 Prozent der Weltbevölkerung müssen mit weniger als 900 Euro im Jahr auskommen. Solange wir nicht beginnen, ganzheitlich zu denken und den Planeten und seine Ressourcen weiter so ausnutzen, dann gibt es bald keinen Planeten mehr. Wir leben so gut und trotzdem steigen Trennungsraten, Depressionen, Burnout massiv an. Und zwar überall dort, wo es den Leuten doch materiell richtig gut geht. Also: wir brauchen inneres Wachstum, inneren Wohlstand. Erst wenn wir eine gute Beziehung zu uns selbst haben, können wir bessere Beziehungen zu anderen führen. Die Menschheit ist definitiv in einer Krise – und ihre Beziehungen.

Pamela: Die Angst, es könnte keinen Fortschritt geben, wenn man gegenwärtig mit dem, was man hat, zufrieden ist, ist völlig unbegründet. Fortschritt wird es immer geben, weil der Mensch einen natürlichen Forscherdrang besitzt. Wir müssen weg von der Ergebnisorientierung hin zur Erlebnisorientierung. Kinder machen etwas, weil sie jetzt im Moment Spaß und Interesse daran haben. Verlieren sie das Interesse, gehen sie einfach woanders hin. Wir Erwachsenen denken aber immer nur in Ergebnissen. Es muss das Ergebnis X sein, egal ob uns der Weg dorthin gefällt. Das ist doch furchtbar. Das widerspricht dem, dass wir in Wahrheit nur im Hier und Jetzt am Leben sind. Das ist auch fürs Business so wichtig und hier sind die Führungskräfte gefragt: Mittel und Wege zu finden, den Leuten nicht immer nur Druck in Richtung Ergebnis und Zahlen, sondern ihnen den Weg dorthin schmackhaft zu machen. Wer Spaß und Freude am Weg hat, wird ganz andere Ergebnisse erzielen, als jemand, der mit Druck dorthin gepeitscht wird.

Dominik: Studien zeigen auch: Geld ist der denkbar schlechteste Motivator. Es funktioniert, wenn man mehr von einer Sache machen soll, etwa am Fließband in kürzerer Zeit mehr zusammenbauen. In dem Moment wo es um kognitive Mehrleistung geht, funktioniert Geld als Motivator nicht mehr. Sondern die Motivatoren sind: z.B. Wissen an andere weiterzugeben, und Meisterschaft in der eigenen Sache, also die Aussicht darauf, ein Interessensgebiet zu beherrschen und zu erlernen.

Inwieweit verändern diese Motivatoren auch unsere Zusammenarbeit oder können sie verändern?

Dominik: Alles auf der Welt entsteht durch Collaboration. Wir sind auf andere angewiesen. Auf das große Ganze zu schauen, Mitarbeiter nur mehr anlassbezogen zu führen und nicht von oben herab, wird immer wichtiger. Die Idee, dass man Menschen peitscht oder ihnen etwas wegnimmt, um sie zu motivieren, ist vorbei. Wichtig ist auch zu erkennen: Das was der bisherigen Wirtschaft gut tut, ist den Beziehungen und dem Glücklichsein der Menschen meist im Weg. Solange wir das nicht kombinieren und zu einem neuen Wirtschaften gelangen, sehe ich keine Hoffnung.

Pamela: Nach einem meiner Vorträge in München kam ein Pärchen auf mich zu und beglückwünschte mich zu meinen Bestsellern. Die beiden meinten, sie hätten auch so gern ein Buch, weil man dann die Angebotspreise gut nach oben drehen könne, sie hätten aber kein Thema ­– ob ich ihnen nicht eines vorschlagen könne. Ich fand das unheimlich schräg, wie sie die Dinge angehen wollten, also in welcher Reihenfolge und nach welchen Kriterien. Ich hab ihnen dann ganz offen gesagt: „Wenn euch das Thema nicht anspringt, dann seid ihr noch nicht so weit, ein Buch zu schreiben.“ Bei mir waren immer die Themen vorher da – ich hab die Bücher geschrieben, weil mich die Themen dahinter interessiert haben, nicht, weil ich Bestseller schreiben wollte. Der Erfolg kam zufällig oder durch einen Glücksfall. Wenn ich nur das Ziel sehe, aber keine Begeisterung für den Weg aufbringe, dann kann das Produkt nicht gut werden. Geld ist ein Hygienefaktor und macht es leichter, schöne Dinge erleben zu können. Es ist nicht unwichtig, aber es sollte nicht unser einzig erklärtes Ziel sein, dem wir hinterherjagen wie der Esel der Karotte.

Dominik: Ich möchte natürlich auch Kohle verdienen. Der Punkt ist nur: Mache ich es egogetrieben? Oder sage ich: wie kann ich meinem Klienten möglichst viel Mehrwert bieten und meinen Job machen, der mir Freude macht? Ich kenne Entrepreneure, wie Gary Vaynerchuck, der arbeitet 24/7, weil er den Prozess liebt. Aber wie viele Menschen machen ihren Beruf lieblos und völlig talentfrei und es fühlt sich für sie an wie steil bergauf gegen die herabfahrende Rolltreppe anzurennen. Und wenn dir die Puste ausgeht, beginnst du wieder von vorn. Wenn du aber nicht am Egotrip bist, sondern auf deinem Lebensweg, gelingen dir die Dinge durch deine Freude. Ich will das nicht verteufeln, wenn Leute gern Ferrari fahren, eine Yacht haben und Champagnerbäder genießen. Das kann einem natürlich Freude machen. Aber es macht nicht dauerhaft glücklich.

Pamela: Ich arbeite oft bis 22 Uhr und merke es gar nicht, weil es sich eben nicht wie Arbeit anfühlt. Zu mir kommen viele Leute, die im Angestelltenverhältnis unglücklich sind und sich nicht in die Selbstständigkeit trauen. Denen sag ich allerdings auch nicht: „Macht einfach!“ Es geht nicht darum, den inneren Tyrannen, der uns ja auch ursprünglich mit seinen Glaubenssätzen vor Schaden bewahren wollte, auszuschalten und völlig hirnlos durchs Leben rennen.

„Alle Handlungen, die aus Angst entstehen, erzeugen nur noch mehr Angst“, schreibt ihr im Buch. Wie können Führungskräfte in Krisenzeiten damit umgehen? Hier spielen ja auch eigene Ängste eine Rolle. Was tun, damit Management by Fear nicht noch mehr Schaden anrichtet?

Dominik: Führung bedeutet im Idealfall, sich selbst führen zu können. Wenn du nicht im Reinen mit dir bist, kannst du es auch nicht mit den anderen sein. Die meisten sehen die Selbstführung zu kurz. Es gibt zwei Erfolgsfaktoren: emotionale Stabilität und Vertrauen in andere Menschen. Also: Emotional stabil sein, in deiner Mitte sein und mit unterschiedlichen Ereignissen flexibel umgehen können, Vertrauen in andere Menschen, Kollaborieren mit anderen und mit gutem Vorbild vorangehen. Wenn du als Topmanager morgens von der Ehefrau in den Himmel gelobt wirst, dann die Sekretärin mit dir flirtet und die Stakeholder dich hochloben, ist es einfach, gut drauf zu sein. Wenn die Ehefrau sich mit dem Tennislehrer vertschüsst, die Sekretärin dich nicht mehr anschaut und du viele Mitarbeiter entlassen musst, zeigt sich, wie emotional stabil du wirklich bist – trotz der Krise. Das bedeutet, seine Emotionen managen zu können, sie nicht wegzudrücken, sondern bewusst wahrzunehmen, zu bewerten und auf den rechten Platz zu rücken. Ist es die Gelegenheit in Panik zu verfallen, weil die Welt Corona hat oder kann ich mich fragen: was kann ich angesichts dessen was ist, im Hier und jetzt, tun? Angst verkauft sich leider in den Medien gut, weil unser limbisches System evolutionsbedingt darauf reagiert.

Pamela: Das limbische System will uns immer noch vor Schaden bewahren. Vor Urzeiten brauchte der Mensch den Schiss vorm Schädelzahntiger, um überleben zu können – da ist inzwischen hinlänglich bekannt. Diese Angst benötigen wir heute meist nicht mehr, hier hinkt die Evolution noch hinterher. Wichtig ist, die innere Kommunikation mit sich selbst zu hinterfragen – oder anders gesagt: Glaub nicht alles, was du denkst! Hinterfrag und überprüf, wo es dich hinbringt, wenn du so denkst. Wenn ich die Welt nur durch die Angstbrille wahrnehme, werde ich nur die negativen Dinge sehen. Dann sind wir bei der Selffulfilling Prophecy – und wir werden Dinge erleben, die unsere Angst bestätigen. Das sind Kreisläufe, aus denen man gut aussteigen kann, wenn man sie sich bewusst macht. Und unser Buch möchte genau das tun: solche Muster aufdecken.

Auch die Angst vor Ablehnung ist ein präsentes Thema, die den inneren Tyrannen gern aufleben lässt – , ob beruflich oder privat. Wie geht man mit dieser Angst um?

Dominik: Die Angst vor Ablehnung wird dazu führen, dass du dein Angebot nicht machst, aber nicht, dass du nie abgelehnt wirst. Ebenso, wie die Angst vorm Tod nur dazu führt, dass du dein Leben nicht lebst, aber nicht verhindern kann, dass du stirbst. Der einzige Weg raus ist: face your  fears. Jeder, der sagt: Mir ist egal, was andere denken, lügt. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Ich würde sagen: hättest du Eltern gehabt, die dir mitgegeben hätten, dass du wertvoll bist, egal was du machst, dann könntest du viel besser mit Ablehnung umgehen. Persönlichkeitsentwicklung bedeutet den ganzen Hirnschiss aus Kultur und Erziehung zu hinterfragen. Diese Programmierungen  gilt es zu hinterfragen: ist das wirklich wahr, was ich denke. Kann ich wirklich wissen, dass das wahr ist? Was würde passieren, wenn ich es nicht denke? Und: jeder Gedanke, der wehtut, ist ein Irrtum.

Pamela: Etwa vor Publikum nicht reden zu wollen entsteht aus der Angst vor Ablehnung. Viele an sich selbstbewusste Menschen kommen zu Medien- und Auftrittstrainings zu mir, weil sie angesichts einer Präsentation oder eines Vortrags regelrecht in Panik verfallen. Ich lenke ihr Denken hin zur Frage: „Was passiert, wenn du ein Blackout hast? Stirbst du dann, ist dein Leben vorbei, verlierst du deinen Job?“ Dann geht es unter anderem darum, aufzuzeigen, dass man den roten Faden im Vortrag ja wiederfinden kann und am besten einfach weitermacht. Wir müssen die Angst annehmen, um sie loszuwerden. Genauso ist es auch mit dem inneren Tyrannen. Auch ihn müssen wir annehmen, damit er sich gesehen fühlt und folglich verstummen kann.

Dominik: Der Weg aus der Angst ist durch die Angst hindurch – das bedeutet, dein Ego damit ein Stück weit gehen zu lassen. Wenn du zum Beispiel Angst davor hast, Vorträge zu halten, tue es für deine Teilnehmer – nicht für dein Ego. In dem Moment wo  es nicht mehr um dich geht, wird es leichter. Mein indischer Lehrer Swami hat gesagt: „Wenn du in eine Herde voller Tiger gerätst, ist es wichtig, dein Ego und damit deine Ängste gehen zu lassen, damit du ruhig bleibst und hoffentlich nicht unangenehm auffällst. Ob du es geschafft hast, merkst du erst, wenn der Tiger zwei Zentimeter vor deinem Gesicht ist.“ Du kannst nichts können, wenn du nicht rausgehst und es probierst. Wenn ich im Stau stehe und innerlich ruhig bleiben kann, ohne dass ich nur an drängenden Termin denke und mein Ego den anderen mit „ihr drängelnden Arschlöcher“ aufzwinge, habe ich schon den ersten Schritt geschafft.

Pamela: Schwimmen ohne nass zu werden, geht halt einfach nicht. Wenn wir nicht aus unser Komfortzone rauskommen, können wir uns auch nicht entwickeln.

Dominik: Das Leben ist eben lebensgefährlich.

Das Buch von Pamela Obermaier und Dominik Borde:

"Mein innerer Tyrann – über die Kunst, sich selbst nicht im Weg zu stehen" von Pamela Obermaier und Dominik Borde ist im Goldegg Verlag erschienen. 

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Beitrag von Nicole Thurn

ist Herausgeberin von Newworkstories.com, New-Work-Enthusiastin und langjährige Journalistin mit einem kritischen Blick auf die neue Arbeitswelt.

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