NEW WORK EXPERT. Am Ende des Arbeitstages sind noch so viele To-Do‘s übrig? Marie-Therese Schlierkamp macht Zeitfressern Beine. Mit dem ganzheitlichen Ziel: mehr Fokus, Zeit und Klarheit für die eigene Lebensvision und für mehr Produktivität.
Die Zeit läuft davon, als einziger Kollege sitzt die Ablenkung im Home Office neben dir und am Ende des Tages sind noch so viel To-Do‘s übrig?
Vor acht Jahren kannte Marie-Therese Schlierkamp dieses Gefühl nur zu gut. Zwischen Nebenjobs, Seminararbeiten und Hausarbeit blieb nur noch der Frust. „Ich hatte weder Ziel- noch Prioritätenplanung, die Tage wurden immer länger und den Output habe ich dennoch nicht erreicht“, erzählt sie. Heute führt sie als Produktivitätscoach Menschen an besseres, gezielteres Zeitmanagement, identifiziert Produktivitätsfresser und hilft mit einfachen Planungstools, den Arbeitsalltag so zu gestalten, dass die To-Dos abgearbeitet sind und auch noch Zeit für Sport, Familie und Freunde und Me-Time bleibt. „In der Auseinandersetzung mit dem Thema habe ich gemerkt, was für ein unglaubliches Potenzial in High Performance, um die eigene Lebensvision und die zugehörigen Ziele angehen zu können und auf gesunde Art und Weise zu erreichen.“
Gerade selbstverantwortliches Arbeiten führt anfänglich oft zu Überforderung. Wie schafft man sich Struktur, wie einen Plan, an den man sich auch halten kann? Freiraum hat einen großen Vorteil: wenn wir uns die Arbeit selbst einteilen können, können wir unsere produktivsten Zeiten nutzen. Im New Work Expert Interview erzählt Marie, wie wir mit fundierter Planung, die unserem Arbeits- und Chronotyp entspricht, nicht nur produktiver und fokussierter arbeiten, sondern uns dadurch auch mehr Erholung und Freiraum für Hobbies, Familie und Freunde schaffen.
New Work Stories: Marie, als Produktivitätscoach beschäftigst du dich mit High Performance. Das klingt nach Hochleistungsdruck und irgendwie ungesund. Was verstehst du darunter?
Marie-Therese Schlierkamp: Mit High Performance können wir möglichst nah an unser Leistungsmaximum kommen, immer mit dem Hintergrund, dass es sowohl physisch als auch psychisch auf eine gesunde Art und Weise geschieht. Maximalen Output können wir in sogenannten Deep Work-Phasen erreichen: hier nutzen wir in intensiven Fokusphasen unsere mentalen Kapazitäten bestmöglich. Dazu benötigen wir immer entsprechende Erholungsphasen auf den Tag und die Woche gesehen, so dass wir uns wirklich mental und physisch die nötige Erholung und die Energie holen. High Performance sehe ich also im Ausgleich zwischen hochkonzentrierten Arbeitsphasen und entsprechenden Erholungsphasen.
Wie planst du deinen Arbeitstag und deine Arbeitswoche anders im Vergleich zu früher?
Früher hatte ich maximal drei berufliche Ziele mit einem relativ kurzen Zielhorizont von einem Monat bis einem Jahr. Daras habe ich all meine To-Do’s für die Woche und den jeweiligen Tag festgelegt – egal ob zum Thema Job, Haushalt, Beziehung oder sonstige private Lebensbereiche. Viele Menschen haben solche All-in-one-To-Do-Listen. Der Nachteil: es fällt damit schwer, richtig zu priorisieren und nach Wichtigkeit zu entscheiden, was zu tun ist. Und man lässt sich eher zu Dingen verleiten, die für die Zielerreichung gerade gar nicht wichtig sind. Heute habe ich alle To-Dos in mehrere Projekte aufgeteilt, etwa: Haushalt, Job, Beziehung.
Wie planst du deine Woche und Tage heute?
Ich plane die kommende Woche immer freitags vor und den nächsten Tag mit den konkreten To-Do‘s am Vorabend. Jeden Abend mache ich auch den Tagesabschluss: ich hake To-Do‘s als erledigt ab oder verschiebe sie auf den nächsten Tag, wenn sie noch in Bearbeitung sind. Als erstes mache ich den Wochenplan: In meinem Wochen- bzw. Tracking-Kalender sind die Tagespläne integriert. Die verschiedenen Bereiche erhalten farblich zugeordnete Zeitblöcke: Als erstes füge ich aber immer die Pausen und den Feierabend ein, damit ich genügend Regenerationsphasen haben. Auch Me-Time, also Zeit für mich, für Sport und Weiterbildung, blocke ich im Wochenplan als Erstes. Dann habe ich zum Beispiel täglich Zeitblöcke für Deep-Work-Phasen eingeplant, also für fokussierte Arbeit. Dieser feste Arbeits- und Pausenrhythmus ist das Grundgerüst für die Wochenplanung und entspricht meinem biologischen Chronotypen, also meinem inneren biologischen Rhythmus. Meinen Ansatz nenne ich Deep Meditative Interval Work.
Was bedeutet "Deep Meditative Interval Work" genau?
Im Prinzip setzt sich dieses Modell aus drei Aspekten zusammen: erstens der Deep Work-Aspekt des bekannten Psychologieprofessors Cal Newport, der den Ansatz des hochfokussierten, konzentrierten Arbeitens entwickelt hat. Hier geht es darum, Ablenkung zu minimieren und Konzentration auf eine Aufgabe zu maximieren. Die Deep-Work-Phase wird vorbereitet: Wir entfernen alle visuellen und akustischen Ablenkungs- und Störquellen: dazu gehört auch das Smartphone. Und wir sorgen dafür, dass wir nicht gestört werden – indem wir das unseren Kolleg*innen oder Vorgesetzten vorab kommunizieren. Und wir bereiten alles, was wir zum Arbeiten benötigen, griffbereit vor: Kaffee, Wasser, Arbeitsmaterialien. Nach 60 Minuten, spätestens nach 90 Minuten empfehle ich eine Pause. Um in den Deep-Work-Modus zu kommen, kann man mit positiven Triggern arbeiten, die man zu Anfang setzt: etwa bestimmte Kleidung, Gerüche, ein Ritual. Ich verreibe Zitronenöl in der Hand – diesen Geruch habe ich mit Deep Work geankert.
Der zweite Aspekt ist das Intervall-Arbeiten, das auf den optimalen Arbeitspausen-Rhythmus abzielt. Hier ist es zu Beginn wichtig darauf zu achten: ab wann lässt bei mir die Konzentration nach: nach 45, 60 Minuten, 75 oder 90 Minuten? Nach dieser ersten Zeitanalyse ist es wichtig, den Tag in die am besten passenden Arbeits-Pausen-Intervalle aufzuteilen.
Der dritte Aspekt ist der meditative: wir lenken bei der Meditation den Fokus auf unseren Atem. Wenn wir also merken, dass wir auf Gedankenreise gehen und den Fokus verlieren, können wir ihn bewusst wieder auf den Atem lenken. Dieses Prinzip können wir im Arbeitsprozess anwenden: denn wir haben oft das Bedürfnis, schnell zu anderen To-Do‘s zu springen, schnell mal noch was nachzuschauen oder eine E-Mail abzuschicken. Dieses „gedankliche Springen“ können wir auch abtrainieren, indem wir uns wieder zurückholen zu dem, was gerade als Aufgabe vor uns liegt. Wir trainieren statt des Atem-Fokus, also den „Aufgaben-Fokus“. Mit der Zeit lässt das Aufgaben-Springen auch nach. Indem wir den „Fokus-Muskel“ trainieren, bleiben wir wieder besser bei einer Aufgabe.
Wie können auch Teams Deep-Work-Phasen nutzen – etwa, wenn die Teammitglieder unterschiedliche Chronotypen sind, also ihr Energielevel über den Tag unterschiedlich verteilt ist?
Hier empfehle ich morgens ein kurzes Stand-Up Meeting zu machen: was steht heute an, was braucht vielleicht der eine noch vom anderen, was gibt es zu wissen, damit jeder seine Aufgaben erledigen kann. Da reichen ja meist, gerade in kleinen Teams, zehn, fünfzehn Minuten. Danach wäre empfehlenswert, eine Deep-Work-Phase von mindestens 1,5, eher zwei oder drei Stunden einzuführen, um die zuvor besprochenen Aufgaben konzentriert abarbeiten zu können. Am Nachmittag könnte man teamintern oder auch mit Kunden einen festen Zeitblock für Meetings festlegen, der sich an den jeweiligen Arbeitsphasen orientiert und wodurch man zum Beispiel die Mittagspause individueller gestalten kann. Nach dem Mittagessen, also in der Phase des kollektiven „Lunch-Koma“, rate ich zu weniger anstrengenden To-Do’s – wie Calls und Meetings.
Du nutzt neben Deep Work auch den Begriff Shallow Work. Was ist das?
Shallow Work ist im Vergleich zu Deep Work ein Zustand, in dem wir weniger konzentriert arbeiten, wo wir häufig unterbrochen und abgelenkt werden können. Da erledigen wir normalerweise eher anspruchslosere Routine-Aufgaben, beantworten eine Mail oder suchen ein Bild für ein Social-Media-Posting raus.
Du bietest ein 10-Wochen-Programm an, ein intensives Coaching-Programm, wo alle Aspekte von Lebensvision, konkreten beruflichen und privaten Zielen bis hin zur systematischen Tages- und Wochenplanung abgedeckt werden.
Genau, ich biete eine intensive 1:1 Begleitung in zehn Wochen an, weil größere Veränderungen in der eigenen Handlungs- und in der Denkweise geschehen sollen. Wir erschaffen dadurch ein komplett neues Planungs-, Organisations-, Aufgabensystem – solche größeren Veränderungen in unserer Handlungs- und Denkweise finden nicht von heute auf morgen statt. Je nach individueller Lebenssituationen treten anfangs oft Fragen und Herausforderungen auf – etwa, wie wir das Ganze gut etablieren und so aufsetzen, dass wir es langfristig aufrecht erhalten und in den Alltag integrieren können. Hier ist es wichtig, in den zehn Wochen jemanden an der Hand zu haben, der Feedback gibt, Fragen beantwortet und einfach als Support da ist. Ich habe verschiedenste Tages- und Wochenplanungen schon hundertfach durchgemacht hat und weiß, an welchen Stellen Probleme und Herausforderungen auftreten. Es braucht einfach Zeit. Aber am Ende profitieren wir langfristig auf allen Ebenen – privat wie beruflich – von dieser neuen Form, unsere Zeit zu planen und zu nutzen. Denn so haben wir endlich die Möglichkeit, auf gesunde Weise so zeitnah wie möglich die Vision unseres Lebens zu verwirklichen und genau den Alltag zu leben, den wir uns wünschen.
Maries Tipps für besseren Workflow:
- Finde heraus, wann du am produktivsten bist: als Lerche, die frühmorgens vor Energie strotzt, oder eher als Eule, die wach wird, wenn andere schlafen?
- Streiche All-in-one-Listen: Unterteile deine Aufgaben in Privat, Beruflich, Freizeit und ordne ihnen Farben im Kalender zu
- Setze als erstes in deinem Wochenkalender die Pausen fest: Mittagspause, Yoga, Spaziergang, Feierabend
- Lege deine Deep-Work-Phasen im Wochenkalender grundlegend fest – je nachdem, wann deine beobachteten Tageshochs sind (z.B. 10-12 und 15-17 Uhr)
- Richte für den Tagesabschluss eine Done-Liste ein oder hake die erledigten Aufgaben ab
- Notiere die Dauer von wiederkehrenden Aufgaben, um sie zeitlich besser einzuordnen
- Richte eine Not-to-Do-Liste ein: Identifiziere deine Zeitdiebe und triff eine klare Entscheidung, sie nicht mehr zu füttern. In der Deep-Work-Phase sind sie tabu (Social Media Surfing, unwichtige Anfragen zwischendurch beantworten)
- Verabschiede dich vom Perfektionismus: „Done is better than perfect“!