Nachruf. Andreas Gebhardt war seit 20. Jahren mit Frithjof Bergmann befreundet, der Professor für Maschinenbau und Mechatronik an der FH Aachen führte viele Diskussionen und Gespräche mit ihm über die Zukunft der Arbeit und des "Hightech-Selfproviding".
Ich kenne Frithjof Bergmann seit dem 3. Juni 1998. Das letzte Mal habe ich am 17. Mai 2021, also genau eine Woche vor seinem Tod ausführlich mit ihm telefoniert. Dazwischen liegen 23 Jahre der Diskussion und des Austausches .
Ich bin froh und dankbar, diese 23 Jahre mit Ihm verbunden gewesen zu sein.
Was bleibt?
Wenn man über einen Menschen nachzudenken beginnt, erscheint sein Leben in vielen Facetten. Daher erlaubt ich mir, diese in der Reihenfolge wie sie mir in Erinnerung kommen, und daher nur unzureichend geordnet, aufzuführen.
Frithjof kam stets mit einem extrem schweren Koffer, in dem er auch viele Bücher und eigene Konzepte mitführte.
Weil der Koffer so schwer war, freute ich mich (als der über 30 Jahre Jüngere!) jedes Mal, wenn er es mir verwehrte, diesen für ihn zu tragen.
Frithjof war „der Mensch, der niemals schlief“.
Auch nach einem langen Abend, mit reichlich Essen und Wein war er schon in den frühesten Morgenstunden aktiv, hatte bereits die halbe Welt angerufen und an seinen Ideen gearbeitet.
Er kam stets mit seiner Reise-Espressomaschine und benutzte sie, auch wenn er gut versorgt war, vorzugsweise am frühen Morgen zur Herstellung eines unglaublich starken Kaffees.
Zum Frühstück konnte er enorme Mengen von Marmelade verspeisen. Vor allem die, die meine Frau gekocht hatte.
Frithjof war auch im Alltagsleben technik-affin. Er kam schon bei seinen ersten Besuchen mit seinem Computer und verlangte bereits damals nach einem Internet Access Point, als das für unsere Gäste noch eine Seltenheit war.
Auf seinen Reisen werden die meisten das nicht gemerkt haben: Frithjof besaß und fuhr ein Auto – einen kleinen japanischen Jeep. Auch an diesem ging seine Überzeugung nicht vorüber: „Cut the Busch“ war auf der Heckklappe des Wagens des Professors der University of Michigan in Anspielung auf den 41. Präsidenten der Vereinigten Staaten zu lesen.
Frithjof war ein begnadeter Redner.
Seine Zuhörer schlug er unmittelbar in seinen Bann, verlangte Ihnen aber auch sehr viel ab. Seine Sätze waren ausnahmslos sehr lang mit immer wieder eingeschobenen sich häufig ebenfalls mehrfach verzweigenden Gedankengängen. Man musste schon intensiv und sehr aufmerksam zuhören, um den letzten Halbsatz richtig in die Gesamtaussage einzuordnen
Ich habe mich als Zuhörer oft dabei ertappt, dass ich Angst bekam, er würde den Faden verlieren. Aber das geschah nicht.
Frithjof sprach die Menschen an. Er sprach daher für jedermann verständlich und auf einem eher volksnahen Sprachniveau. Kraftausdrücke suchte man bei ihm vergebens. Er versteckte sich nie hinter Worthülsen und versuchte nie auf diese Weise Eindruck zu schinden.
An seiner Sprache wie an seinem Auftreten war kein Dünkel – aber ab und an ein wenig Extravaganz. Vielleicht trat da zu Tage, dass er einmal Schauspieler werden wollte.
Verwickelte man ihn aber in ein philosophisches Thema, so versank sein Diskussionspartner unversehens in einer Flut von Informationen, aus denen ihn nur ein wirklich profundes Wissen, oder die Kapitulation befreien konnten.
Erlag sein Diskussionspartner gar der Versuchung der Koketterie auf der Basis philosophischer Halbbildung, war dies für diesen stets mit einer krachenden Niederlage verbunden. Dann kannte der sonst immer freundlich und zuvorkommende Frithjof auch keine Form der Höflichkeit mehr, sondern konfrontierte sein Gegenüber brutal mit Tatsachen und Fakten.
Als Redner konnte er auch eine Art Therapeut sein. Er arbeitete oft mit Jugendlichen. Nach dem Anschlag vom 11. September 2001 auf des World Trade Center hatte ihn die Stadt New York engagiert um zu helfen, vagabundierende Gruppen von Jugendlichen im Zaum zu halten.
Auf die erstaunte Frage meiner Frau und mir, was er denn mit denen gemacht habe, antwortete er: „Ich habe Ihnen Geschichten erzählt“. Jeder, der ihn kannte, glaubt das sofort.
Sein beliebtestes Stilmittel war „die Anapher“, die (mehrfache) Wiederholung eines Wortes. Am bekanntesten ist sein „wirklich wirklich wollen“ als Ausdruck einer tiefen Begierde. Dadurch entfaltetet seine Rede die gewünschte verstärkende und eindringliche Wirkung.
Ich habe Frithjof Bergmann nie böse oder aggressiv erlebt. Aber zornig.
Zornig konnte er werden, wenn er sich Ignoranten gegenüber sah. Auch Fundamentalisten und Dogmatiker aller Art konnten ihn sehr schnell sehr zornig machen.
Zorn war aber auch eines seiner Stilmittel. Er konnte inmitten eines Vortrags plötzlich laut werden und mit donnernder Stimme fortfahren um seinen Standpunkt zu bekräftigen.
Frithjof war in sehr hohem Masse Techniker. Das war er aber nicht um der Technik, sondern um seiner Mission willen. Deshalb nennen wir ihn besser einen Praktiker.
Für seine Projekt- und Gesprächspartnern war dies häufig eine Überraschung – erwarteten sie doch einen Philosophen. Und für die meisten Menschen ist ein Praktiker das Gegenteil von einem Philosophen; obwohl die meisten nicht so genau wissen, was ein Philosoph eigentlich ist.
Technik war für Frithjof immer nur Mittel zum Zweck. Ein Mittel, um sein Hauptanliegen, die Bekämpfung der Armut, zu unterstützen.
Frithjof wusste, was Armut oder zumindest Entbehrung bedeutet. Hatte er doch Jahre der Selbstversorgung auf dem Land zugebracht und somit Perioden ohne oder mit eher geringem Wohlstand erlebt.
Die Würdigung all seiner Aktivitäten und Projekte darf aber die Sicht darauf nicht verstellen, dass er voll und ganz Philosoph und Hochschullehrer war. Frithjof sieht die Hegel’sche Entscheidungsfreiheit grundsätzlich als missverstanden an und propagiert stattdessen Handlungsfreiheit für alle. Er ersetzt also die Freiheit des Einzelnen zu entscheiden durch die Freiheit jedes Einzelnen zu handeln. Und er erwartet, dass jeder diese Freiheit auch in Anspruch nimmt.
Das führt ihn schließlich zur nächsten Stufe seiner Mission: dem High Tech Self-Providing (HTSP), also zur Selbstversorgung der Menschen auch mit Produkten, die bis dato von diesen nicht selbst hergestellt werden konnten.
Frithjof erkannte bereits kurz nach ihrer Erfindung in den 1980er Jahren das Potenzial der Additiven Technologie oder des Additiv Manufacturing, das zunächst als Rapid Prototping in die Welt gekommen war und heute als 3D Drucken Erfolge feiert. Diese Technologie würde es möglich machen, dass normale Menschen, die nicht Handwerker oder Techniker und schon gar keine Ingenieure sind, komplexe Gegenstände aus unterschiedlichen Materialien selbst herstellen. Diese Technologie würde die Erwerbsarbeit wie sie bis dato bekannt war, revolutionieren. Sie und ihre Weiterentwicklung, die aktuell mit exponentieller Geschwindigkeit verläuft, würden neue Formen der Arbeit ermöglichen und hätten das Potenzial, die bekannten Nachteile zu vermeiden.
Das war forthin unser Thema.
Obwohl die Kosten für einfache 3D Drucker enorm gesunken sind und diese bereits beim Discounter angeboten werden, ging die objektiv äußerst rasch verlaufende Entwicklung dem stets ungeduldigen Frithjof zu langsam. Es entstanden an vielen Stellen der Welt, vor allem in den USA, in der Bundesrepublik und in Österreich Zentren für Neue Arbeit, in denen Fabber und 3D-Drucker immer auch zum Inventar gehören.
Frithjofs permanent wacher Geist flog aber stets voraus. Die Entwicklung folgte - stetig, aber für seine revolutionären Ideen zu langsam.
Frithjof war natürlich klar, dass seine „New Work Initiative“ kein exklusiver Nutzer dieser Technologie sein würde. Dass auch die traditionellen Formen der Arbeit sie einsetzen und adaptieren würden. Und dass sie versuchen würden, neue Ansätze wie seine aufgrund ihrer finanziellen Stärke auf Abstand zu halten.
Aber er sah darin die Brücke zwischen seinen theoretisch begründeten und den bisher praktisch umgesetzten Ideen und Ihrer weiteren Anwendung zum Wohl der Menschen, insbesondere zum Wohl der Armen.
Seine Träume werden letztlich wahr werden. Doch er wird es nicht mehr erleben.
Wir hatten anfangs gefragt, „was bleibt?“
Es bleibt der Mensch und Menschenfreund Frithjof Bergmann, der selbst junge Leute wie meinen Sohn Philipp fasziniert: „Beeindruckend ist vor allem, wie intensiv und wie lange Frithjof für seine Idee ‚gebrannt‘ hat“.
Für eine Entwicklung, die er „wirklich, wirklich“ wollte.
Aachen, Mai 2021, Andreas Gebhardt