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„Der digitale Druck ist spürbar“

Autor: Nicole Thurn
Datum: 22.04.2020
Lesezeit: 
4 Minuten

Glücklich im Home Office, geht das? Stephanie Doms ist Texterin, Yogalehrerin und zweifache Mama. Am Anfang der Corona-Krise war der digitale Druck - jetzt nutzt die Zeit für mehr Reflexion. Ein Erfahrungsbericht.

Stephanie Doms hat, man könnte es sagen, die Privilegien in Sachen zwangsverordnetem Home Office: sie lebt in einem Haus mit Garten, rundherum Natur, die Kinder können frei spielen. Und sie ist selbstständig, als Texterin und Yogalehrerin. Home-Office-Erfahrung hat sie auch schon vor der Corona-Krise gesammelt. Bevor Sohn Elias (5) bekommen hat, arbeitete sie als Texterin von zuhause aus. „Mit Mann und Kind war das Home Office aber nicht mehr so attraktiv“, lacht sie. Als ihr Mann in Babykarenz ging, suchte sie sich ein externes Büro. „Das habe ich auch belassen, als mein Mann die Karenz beendet hat und mein Sohn in den Kindergarten kam.“ Bei Tochter Valentina (2) teilten sich die Eltern die Karenz auf, auch hier arbeitet Stephanie in einer neuen Bürogemeinschaft mit selbstständigen Frauen zusammen.  Auch ihr Mann musste als Angestellter einer Softwarefirma immer wieder remote arbeiten.

Stephanie Doms

... über die erste Zeit im Home Office

„Die erste Woche im Home Office war ungewohnt. Unser Büro zuhause ist zur Rumpelkammer und Dokumenten-Ablage verkommen und musste erst einmal befreit werden. Auch technisch haben wir alles auf Home Office umgestellt, das Wlan muss ja in jeder Ecke des Hauses funktionieren. Ein bisschen war das schon so, als würde man in einem Bürogebäude den Arbeitsplatz wechseln. Mein Mann ist es gewöhnt, remote zu arbeiten. Einige Kunden hat er noch nie im echten Leben gesehen. Für mich war es auch nicht neu. Ich habe schon vor Corona mit Kunden immer wieder remote gearbeitet, hatte vielleicht ein persönliches Erstgespräch und dann telefonische Gespräche und hab meine Dokumente über Google Drive mit den Kunden geteilt. Die Herausforderung ist für mich also eher, dass meine Kunden die reine Remote-Arbeit annehmen.  

Ich lektoriere derzeit ein Buch zum Thema New Work und gesundheitsorientierte Unternehmen. Ich habe mich nie bewusst damit auseinandergesetzt und merke jetzt: das mache ich schon die ganze Zeit. Wir arbeiten flexibel und haben keine nine-to-five Jobs. Ich komme mit den Yogakursen etwa auf Vollzeit, mein Mann arbeitet 32,5 Stunden die Woche. Jeder von uns arbeitet drei Tage die Woche, an einem Tag waren die Kinder immer bei der Oma in Betreuung.  Mittwochs machen wir halbe-halbe. Den übrigen halben Tag arbeiten wir abends oder am Wochenende ein. Das funktioniert gut so. Meine Kinder besuchen mich manchmal im Büro, sie klopfen aber an und wissen auch, dass Arbeitszeit ist. Das war schon vor Corona so.  

"Die Corona-Krise ist eine Zäsur, die ich mir fast gewünscht hab."

... über den Wegfall von Einnahmen

Meinen zweiten Job als Yogalehrerin kann ich derzeit nicht ausüben. Stattdessen kann ich endlich meine Text-Altlasten aufarbeiten. Es gibt auch so viel Liegengebliebenes, das ich jetzt aufarbeiten kann, wie die Umsatzsteuervoranmeldung oder noch nicht geschriebene Texte. Mir ist lieber, ich starte nach dieser Phase ohne Altlasten neu durch.

Die Corona-Krise ist eine Zäsur, die ich mir fast gewünscht hab. Zu Anfang des Jahres war es für mich ein großes Thema: was soll und will ich anbieten, was machen andere? Jetzt arbeite ich alles für mich auf, es ist ein Cut, durch den ich wieder mehr Raum habe. Anfangs dachte ich mir: Shit, jetzt fallen 50 Prozent meiner Einnahmen weg. Ich habe die negativen Emotionen einfach mal zugelassen, am nächsten Tag war ich dann schon wieder in Aufbruchstimmung. Ich habe fast eine gruselige Freude entwickelt. Am ersten Wochenende habe ich beschlossen, weniger über meine Zielgruppe zu grübeln. Ich habe in einem Posting auf Facebook abgefragt, was die Leute denn wollen. Viele sind emotional, verunsichert und haben Angst. Mit dem, was ich in Yoga und Mentaltraining anbiete, kann ich sie unterstützen. Ich habe super Rückmeldungen bekommen. Ich nutze die Phase also zur Feldforschung, um meine Zielgruppe besser kennenzulernen.

... über den digitalen Druck

Andererseits habe ich anfangs auch einen starken digitalen Druck gespürt. Gleich zu Beginn der Ausgangsbeschränkungen habe ich meinen Yoga-Newsletter ausgeschickt und meinen Kundinnen mitgeteilt, dass ich mit dem Yoga pausieren muss. Es kam prompt die Anfrage, ob ich Yoga nicht auch online anbieten will. Anfangs hatte ich das Gefühl, ich darf mich jetzt gar nicht zurückziehen, ich muss jetzt möglichst alles digital anbieten, um neue Zielgruppen zu erschließen oder Kunden zu halten. Ich beobachte aber inzwischen: Viele verzetteln sich dabei und suchen hysterisch nach einem Plan B oder C. Für mich stellt sich die Frage, brauche ich das wirklich? Inzwischen mache ich hin und wieder kurze Impuls-Sessions via Facebook. Ich wäge aber genau ab, was ich wirklich virtuell anbieten will und muss. Ich verlinke auch gern zu anderen Yoga-Videos. Man muss ja nicht alles selbst machen. Ich bin in dieser Phase viel achtsamer und reflektierter geworden. Mir ist inzwischen klar geworden, dass ich mich immer stark am Außen orientiert habe: was machen andere gut und richtig, was macht die Konkurrenz.  Dieser Vergleich mit anderen ist mir jetzt erst so richtig bewusst geworden.

"Ich denke, viele Menschen hinterfragen jetzt, wie und was sie arbeiten wollen. Es wird einem stärker bewusst, was man will und was man gern anders hätte." 

Stephanie Doms, Texterin, Mentalcoach und Yoga-Lehrerin

... über den Tagesablauf

Mir ist viel wichtiger, die neu gewonnene Zeit für die Lebensqualität zu nutzen: meiner Kreativität freien Lauf zu lassen, mit den Kindern zu backen, mit ihnen zu basteln oder im Garten zu arbeiten. Es ist vieles entspannter als vorher. Mir fällt jetzt erst auf, wie durchgetaktet unser Leben davor war: Wir mussten die Kinder täglich chauffieren, zur Tagesmutter, in den Kindergarten. Damit jeder dort landet, wo er hinmuss, braucht man viel Struktur und auch Zeitdruck. Das fällt weg und wir gewinnen so mindestens eine Stunde am Tag Zeit, um gemeinsam eine längere Mittagspause zu machen und zu spielen. Früher habe ich auch täglich Yoga und auch Meditation gemacht, um meine Kurse vorzubereiten. Allerdings ist beides zu weiteren To-Dos auf meiner Liste verkommen und nicht als Zeit für mich selbst. Das ist jetzt anders: ich mache es wieder für mich.

Ich bin auch viel mehr draußen als vorher. Aufgefallen ist mir, was die Zeit vor dem Computer mit dem Körper macht. Wie kann man das den ganzen Tag tun? Früher in meinem Angestelltenjob war das ganz normal. Durch die Kinder mache ich mehr Pausen, wir laufen ums Haus, spielen auf dem Boden, lümmeln auf der Couch. So komme ich raus aus dem Kopf und wieder mehr in den Körper.

... über die Zeit danach

Ich freu mich auf die Zeit danach, weil ich denke, dass ich schon sehr viel klarer zur Routine zurückkehren werde. Ich  werde gestärkt aus dieser Phase herausgehen. Vielleicht werden einige Kunden wegfallen, weil die Konkurrenz etwas Neues für sie anbietet. Es darf aber auch wegfallen, was nicht mehr passt. Ich hatte kürzlich auch einen Moment: das Home Office taugt mir, will ich überhaupt wieder ins externe Büro? Ich merke aber, ich freue mich doch sehr darauf. Ich denke, viele Menschen hinterfragen jetzt, wie und was sie arbeiten wollen. Es wird einem stärker bewusst, was man will und was man gern anders hätte. Ich bin gespannt, was die Zeit danach bringen wird.

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Beitrag von Nicole Thurn

ist Herausgeberin von Newworkstories.com, New-Work-Enthusiastin und langjährige Journalistin mit einem kritischen Blick auf die neue Arbeitswelt.

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