Kasachstan, Mongolei, China, Australien, der Nahe Osten: Nils und Anna Schnell haben ein Jahr lang auf ihrer Modern Work Tour spannende Unternehmen in 26 Ländern aufgespürt. Im Interview berichten sie, was sie erlebt haben.
Sie haben in Australien New-Work-Pioniere besucht, waren in China in Startup Hubs und Hackerspaces und in den Arabischen Emiraten bei revolutionären Coding-Unternehmen. Und sie gaben einem mongolischen TV-Sender sogar ein Interview. 26 Länder auf drei Kontinenten in einem Jahr haben die beiden New-Work-Experten Nils und Anna Schnell bereist. Auf ihrer "Modern Work Tour" sammelten sie Einblicke in zahlreiche Unternehmen und Startups und veranstalteten selbst in den Unternehmen 85 Sessions und Workshops. New Work Stories traf die beiden sympathischen Gründer der Beratung Mowomind in Wien - auch dort waren sie für Xing auf Unternehmensbesuchen unterwegs. Ihr neues Buch "New Work Hacks" beschreibt Methoden und Tools aus der neuen Arbeitswelt, die Unternehmen rasch und effektiv umsetzen können.

New Work Stories: Wie seid ihr auf die Idee gekommen, die Welt zu bereisen und euch dabei Unternehmen der neuen Arbeitswelt anzusehen?
Anna: Wir sind früher pro Jahr ein oder zwei Mal in eine europäische Großstadt gereist und haben damals schon als Coaches von unterwegs gearbeitet - häufig mit internationalen Teams. Dann hieß es: "mein Kumpel arbeitet in Budapest, er wäre auch interessiert." Also sind wir als Nächstes dahin gereist und haben Partnerdeals gemacht: wir haben den Unternehmen ein Training gegeben und im Gegenzug eines bekommen. Dann dachten wir uns: wir könnten das ja auch größer machen. Wir wollten wissen, wie das moderne Arbeiten aussieht: nicht nur in Hotspots wie London oder Tel Aviv, sondern auch in Kirgisistan und der Mongolei.

Wie habt ihr Tour geplant? Was konntet ihr vorab recherchieren, was vor Ort?
Nils: Wir hatten einen groben Plan, haben interessante Städte recherchiert und spannende Unternehmen angeschrieben. Und wir haben die Orte auch nach Kontakten in unserem Netzwerk ausgesucht.
Anna: Wir haben mit unseren bestehenden Kunden remote gearbeitet und dann auch spontan vor Ort, wenn es sich ergeben hat. Das ging von Trainings über Afterwork-Events mit Führungskräften bis hin zu Tandem-Coachings in den Unternehmen, die wir besucht haben. Vor Ort haben Workshops meist mit wenigen Tagen Vorbereitung funktioniert, weil die Leute es interessant fanden, mit uns zu arbeiten. Die Unternehmen haben uns auch immer wieder an andere weiterempfohlen.
Was hat die Unternehmen an euren Workshops interessiert?

Anna: In Kasachstan und der Mongolei wollten die Unternehmen eher Beispiele für modernes Arbeiten hören. Dort ist es gerade en vogue, Manager zu werden, eher statusgetrieben, so wie bei uns vor 15, 20 Jahren. In China wollten sie viele Informationen nehmen und eher nicht so viel abgeben.
Nils: Andererseits gehst du dann in Startup Hubs in Almaty in Kasachstan und triffst so coole Leute mit modernem Mindset und spürst sofort: hier weht ein anderer Wind, das könnte auch in Deutschland sein. Wir haben im Osten viele Copy Cats im App-Bereich gesehen, dort gibt es keine westlichen Apps, dort ist alles auf Russisch oder Kyrillisch.

Ihr habt eure Tour nicht New Work, sondern Modern Work Tour genannt – ich nehme an, das ist kein Zufall.
Anna: Das war tatsächlich kein Zufall. Wir konnten nicht davon ausgehen, dass das Konzept New Work schon überall zugänglich ist. Aber wir sind davon ausgegangen, dass es überall auf der Welt Konzepte gibt, über die Menschen anders und moderner arbeiten. Das hat sich auch bestätigt.
Nils: In vielen Ländern ist der Begriff New Work nicht bekannt. Aber als wir nach modernem Arbeiten gefragt haben, haben die Augen der Leute oft geleuchtet - weil sie eben etwas anders machen als die klassischen Unternehmen in ihrem Land. New Work wird derzeit hierzulande leider zu einem Buzzword - meist versteht man Agiles Arbeiten darunter. Dabei ist es so viel mehr als Kickertisch und Scrum.
Anna: Wir haben ein Unternehmen kennengelernt, die ihre mittlere Führungsebene rausgenommen haben, weil sie new workig sein wollten. Das hat die gesamte Belegschaft ins Chaos geführt. Die obere Führungsebene hatte das entsprechende Mindset noch gar nicht und die Mitarbeiter konnten mit der Selbstbestimmung noch nicht umgehen.

Wie habt ihr die Workshops konzipiert?
Nils: Wir kommen aus der Weiterbildung und dem didaktisch-methodischen Begleiten von Erwachsenen. Uns hat die Begriff Anschlussfähigkeit sehr geprägt. Wir haben darauf geachtet, wo die Unternehmen gerade stehen und wollten nicht von unserem hohen New-Work-Ross runterposaunen, wie es denn sinnstiftender und cooler geht. Zum Beispiel haben wir in traditionelleren Ländern Trainings zum Unterschied zwischen Management und Leadership gehalten. In anderen Ländern, wo die Unternehmen insgesamt schon weiter waren, ging es dann stärker um New Work. Wir hatten Konzepte zu Modern Leadership und Modernem Arbeiten, konnten das aber auch spontan an die Kunden anpassen. Es bringt nix, einen Standard abzuspulen, der gar nicht zum Unternehmen passt. In manchen Ländern wäre das komplette Überforderung gewesen. Aber wir haben sehr häufig zumindest einen kleinen Ausblick in die moderne Arbeitswelt gegeben.
Anna: Wenn man das philosophische Konzept New Work von Frithjof Bergmann heranzieht, geht es stark um das Thema Freiheit mit Fokus auf Sinnstiftung. In China gibt es aber ein ganz anderes Freiheitsverständnis als in Albanien oder in Deutschland. Ich brauche nicht über selbstbestimmtes Arbeiten sprechen, wenn es in erster Linie darum geht, die Existenz zu sichern oder die Abwanderung von Fachkräften einzudämmen. Andererseits haben wir viele tolle Menschen kennengelernt, etwa in Albanien und Sarajevo, die super ausgebildet aus Deutschland oder den USA wieder in ihre Heimat zurückgekehrt sind, weil sie dort sinnstiftender tätig sein konnten.
Nils: Das war sehr beeindruckend. Diese Menschen haben in ihren Ländern mit starken Reglementierungen zu kämpfen. Zum Beispiel: in Georgien gibt es so gut wie keine Infrastruktur für Startups, das beginnt erst. Es gibt zwei Coworking Spaces in Tiflis, darüber hinaus ist dieses Konzept im Land unbekannt.

Anna: Du hast in vielen Ländern rechtliche, organisatorische, behördliche Hürden. Wir haben aber auch das Gegenteil gesehen. In China wird die Masse an Entrepreneurship staatlich gefördert, mit viel höheren Förderungen und Risiko-Investments als etwa in Deutschland. Die Startup-Inkubatoren dort sind durchaus millionenschwer.
Nils: Wir sehen natürlich vieles sehr skeptisch, was in China passiert. Aber es war superspannend zu sehen, mit welcher Power und mit welchem Execution-Speed die Chinesen die Dinge rocken und wie schnell sie Neues ausprobieren. Klar, wenn so ein agiles Startup groß wird, kommt wahrscheinlich jemand von der Volkspartei in den Vorsitz und lenkt das Unternehmen. Aber wenn Leute in China eine gute Idee haben, werden sie finanziell unterstützt. Wir waren zum Beispiel bei einem multimillionenschweren Inkubator X-Note in Shanghai. Der Gründer hat seine Learnings in bestimmte Phasen gebracht, die Startups durchlaufen diese Phasen, wie das Üben von Pitches oder das Erstellen von Businessplänen. Und in Shenzhen sitzen die Weltkonzerne, die Soft- und Hardware bereitstellen.
Anna: Wenn die Firmen dort vormittags Material bestellen, bekommen sie es am Nachmittag geliefert. Diese Firmen können viel iterativer und effizienter arbeiten als hier im Westen. Das hat auch einen gesellschaftlichen Aspekt: ich war erstaunt, wie neugierig und experimentierfreudig die Leute in China sind. Wir haben keine einziges Nicht-Smartphone in China gesehen. Ein Beispiel: Wir waren in den Bergen, dort hat eine Frau vor einem kleinen Holzofen aus einer Hütte heraus Kartoffeln verkauft. Bezahlen konnten wir über QR-Code mit WePay über das Smartphone.
Leap Frogging - also das Überspringen von technologischen Entwicklungen - habt ihr das oft mitbekommen?
Anna: In China setzen die Leute die Trends. Aber übersprungen wird diese Trends auch von Indonesien oder den Philippen.
Was hat euch dort beeindruckt?
Nils: Die Philippinen gehen direkt zu Mobile Pay, sie überspringen die Kreditkarten. Auch immer mehr Firmen bauen dort ihre Standorte ein, weil es dort gut ausgebildetes Personal auf hohem sprachlichen Niveau gibt. Dort siedeln sich Startups und Tech-Firmen an, weil das Englisch der Fachkräfte so gut ist.
Anna: Dort gibt es eigens errichtete Sprachschulen in Business Englisch für junge Führungskräfte. Indonesien ist sehr gut im Bereich Health Care, hier kommen auch viele Leute aus den Philippinen und Malaysia. Die jüngeren Indonesier denken in Apps: wie kann ich die bestehenden Pflegesysteme durch Technologien unterstützen.
Nils: In Indonesien haben wir eine Workation für ein Monat gemacht und unser Buch „New Work Hacks“ geschrieben, mit unserem Scrum Sprintboard.
Anna: Wir haben die interessantesten New Work Hacks aufgelistet, die uns in unserer Arbeit begegnet sind. Es fließen auch Ideen aus unserer Reise mitein.

Habt ihr auch schräge oder ungewöhnliche Arbeitsumgebungen vorgefunden?
Nils: Außergewöhnlich war das Reboot Camp in Amman, der Hauptstadt von Jordanien. Jordanien ist noch sehr traditionell, was die Geschlechterrollen betrifft - Frauen und Männer sind da meist getrennt. Im Reboot Camp bekommen junge Leute mit schwierigem Background eine Tech-Ausbildung. Die hatten im Büro keine Heizung, es hatte Minusgrade und die Leute arbeiteten dort vor ihren Computern mit drei Jacken übereinander bekleidet. Sie wollten unbedingt diese Ausbildung schaffen. Das war sehr beeindruckend. Und sie mussten auch im Pairing arbeiten, Jungs und Mädels gemeinsam.
Welches Unternehmen hat euch beeindruckt, was die Organisation betrifft?
Anna: Spannend war ein Unternehmen in Sydney: mit transparenten Strukturen, alle arbeiteten selbstbestimmt. Der CEO hatte sich zum Chief Purpose Officer umbenannt, er kümmert sich um die Sinnfindung seiner Leute. Er hat entsprechende Formate entwickelt. Sie treffen sich etwa ein Mal pro Monat zum Purpose Talk. Es war ursprünglich ein Beratungsunternehmen, ein paar Mitarbeiter meinten, sie würden lieber Spiele-Apps entwickeln. Der CEO ließ sich darauf ein, jetzt verdient die Firma eben einen Teil ihres Gewinns über Apps.
Nils: Das war ein Traum. Der CEO hat das Thema Purpose sehr ernst genommen und dem eine Chance gegeben.
Anna: Ebenfalls inspirierend war das Unternehmen Symphony in Sarajewo, das sich als people-focused bezeichnet. Das Unternehmen ist stark gewachsen und irgendwann haben die Mitarbeiter bemerkt, dass die Kommunikation und Beziehungen darunter leiden. Sie haben beschlossen, die Anzahl ihrer Leute auf 80 zu deckeln. Wenn es mehr werden, machen sie einfach einen neuen Standort auf. Diese Idee ging von den Mitarbeitern aus.
Nils: Sie entwickeln work applications, damit kann man gut weitere Standorten aufbauen.
Was hat euch in Sachen Zusammenarbeit inspiriert?
Nils: Wir waren beeindruckt von Unternehmen, die sehr mutig waren, besonders in Regionen, die noch nicht so weit in Richtung neue Arbeitswelt entwickelt waren. Sehr inspiriert hat uns auch der australische Autoversicherer RAC an der Westküste, mit 1200 Mitarbeitern. Die haben gemerkt, dass die jungen Leute nicht in so einem verstaubten Unternehmen arbeiten wollen. Wir haben die Head of Innovational Change getroffen. Sie meinte, jede Interaktion, jede gute Idee werde ernstgenommen, nach dem Motto „Every interaction counts“. Jeder darf mit Ideen zum Innovation Team kommen, dann wird sie getestet und ausprobiert. Sie meinte, es gebe eine Aufbruchstimmung, die durch die Mitarbeiter entsteht und nicht von oben verordnet wird. Das war toll zu sehen, wie ein klassisches Unternehmen nicht sagt, ab sofort ist unser Mindset anders, sondern: wir entwickeln uns Stück für Stück gemeinsam weiter. Alle sind in diesem Unternehmen angesprochen, auch ein alter Hase kann etwas bewirken. Das war sehr beeindruckend.
Anna: In China wurden wir zur Scrum Master League eines Unternehmens eingeladen, zu einem rein chinesischen Abend. Nach zwei Stunden chinesischem Vortrag sollten wir ihnen Feedback geben. Das Coole war: wir kannten Scrum, konnten die Symbole ihrer Präsentation lesen und deuten und ihnen so allgemein Rückmeldung geben und uns mit ihnen danach auf Englisch austauschen.
Was plant ihr als Nächstes?
Nils: Jetzt im Dezember geht es für vier Monate für unsere nächste Modern-Work-Tour nach Afrika: unter anderem nach Kenia, Ruanda, Tansania, Nigeria, Namibia und Südafrika. Wir werden uns ansehen, was dort in Sachen neue Arbeitswelt passiert.
Anna: In unserem nächsten Buch wird es um unsere Modern Work Touren gehen - sobald wir dafür Zeit haben.

New Work Hacks für alle: Wir verlosen ein Exemplar!
Mit "New Work Hacks" legen Nils und Anna Schnell ein Sachbuch vor, das viele praktische Tipps und Anleitungen für unkomplizierte Maßnahmen enthält, die Unternehmen in der neuen Arbeitswelt weiterbringen. Die 50 New Work Hacks werden sehr anwendungsorientiert beschrieben - warum sie wichtig sind, welche Voraussetzungen sie benötigen und welche möglichen Herausforderungen sie mit sich bringen. Sie wurden von den Autoren auch nach Schwierigkeit, Aufwand und Zielgruppen bewertet.
Ein Beispiel ist das Format "Ask me anything": Dieses Format geht auf das gleichnamige Buch des Therapeuten Marty Klein zurück, dessen Konzept vom Internet-Forum Reddit adaptiert wurde. Fragen der Mitarbeiter an eine Führungskraft zu einem definierten Thema werden im Vorfeld gesammelt und in einem Meeting vorgetragen - in der Regel durch einen erfahrenen Moderator. Die Führungskraft gibt Antworten und nutzt die Fragen auch zur Selbstreflexion bzw. um das Thema weiterzuentwickeln. In der digitalen Variante werden die Fragen über eine entsprechende App freigeschaltet und können von den Mitarbeitern nach Wichtigkeit gerankt werden. Ein sehr hilfreiches Buch mit vielen wertvollen Tipps - für alle Führungskräfte, HR- und Innovationsabteilungen, die kreative Lösungen und eine offene Unternehmenskultur fördern wollen.
